Hachja, diese Mischung aus Geschrubbe und Gefühl: Für ihr zehntes Album werfen Jimmy Eat World am Ende doch die Heizdecke ab und steigen wieder aufs Skateboard.
Erwachsenwerden ist nicht nur im Popgeschäft die Pest. Ständig muss man kontrolliert sein, muss saturiert sein, muss strukturiert sein, muss vernünftig sein also, dabei trotzdem jung sein, aber bloß nicht kindisch. Kein Wunder, dass Adoleszenzverweigerer jeden Alters längst die wohl größte soziale Schicht im urbanen Raum bilden. Kein Wunder aber auch, dass im Würgegriff der Erwartungen an Jugend und Reife bisweilen eine Mitte bespielt wird, die sich wahrhaft Jugendliche aller Zeiten aufs Schärfste verbeten hätten.
In diesem Licht muss man vermutlich sehen, was Jimmy Eat World zu Beginn ihres neuen Albums machen. Fast wie früher scheppert sie da zu Beginn zwischen Progrock und Skaterparty – Tom Lintons hoch verzerrte Funpunkgitarre. Fast wie früher setzt es ein – Zach Linds unbeirrbares One-Two-Schlagzeug. Fast wie früher kommt es dazu – Jim Adkins gedoppeltes Shouting. Und für ein paar Sekunden fühlt man sich beim Hören des Eröffnungssongs Appreciation wieder wie damals, vor unfassbar ewig zurückliegenden zwei Jahrzehnten, als die Jeans keine Röhren waren, aber riesige Risse hatten, als Hemden zwar Karos hatten, aber nicht eng anliegen mussten, als Alternative Rock als Grunge ein Rampenlicht eroberte, das den lichtscheuen Gestalten aus der Garage noch etwas unheimlich war.
Dann aber, noch ganz am Anfang des Albums, verebbt der nostalgische Furor aus Damage, er versiegt förmlich wie das Collagen in der Haut seiner Macher. Beim zehnten Studioalbum vernunftbegabter Mittvierziger ist es zwar auch irgendwie kein Wunder, wenn irgendwann die Spannkraft fehlt, aber dieses hier lullt den Hörer Stück für Stück ein, als läge dem Cover eine Heizdecke bei. Schon der Titelsong mit seinem coldplayesken Konsenschorus, im Anschluss das seifige Lean, dessen Schrammelgitarre rasch unterm gefälligen Gesangsfluidum ertrinkt, oder, fast folkig: Book of Love voll duseliger Durverliebtheit – für alte Fahrensleute ist es ein Kampf, dabei zu bleiben.
Aber er lohnt sich.
Denn als hätte sich das Quartett aus dem Sunny State Arizona das Rennen bloß gut eingeteilt, als sei das erste Drittel bloß ein langsames Anlaufen in Richtung Zwischensprint gewesen, um sich der eigenen Grundfähigkeiten kurz zu versichern, nimmt Damage zur Mitte hin Fahrt auf und ist ziemlich bald wieder das, was Jimmy Eat World mal waren: ein independenter Brückenkopf zwischen altem und neuem Rock, achtziger und nuller Jahren, eine Art Kuschelpunk für Skater mit Knieschützern wie einst Dinosaur Jr. oder Buffalo Tom. Schon in I Will Steal You reckt Adkins folglich erstmals leicht den Schreihals, um im grandiosen How’d You Have Me den Kindern des frühen Emocore eine Gänsehaut zu zaubern, in dieser Mischung aus Geschrubbe und Gefühl.
Wer über diese Klippe gegangen ist, kann den Stein also entspannt wieder bergab rollen und den Anfang des Albums milder betrachten. Als Einleitung, womöglich das längste Intro der Rockgeschichte jenseits von Stoner und Kraut. In dem Alter muss man sich vielleicht erst mal kurz sammeln, dann geht nach hinten raus noch was. Nicht mit Vollgas aber stattlichem Tempo. Irgendwie erwachsen. Und gut.
„Damage“ von Jimmy Eat World ist erschienen bei Sony.