Erst ein BRIT-Award, jetzt ein maues Debütalbum: Das offenkundige Talent des 22-jährigen Tom Odell steht noch auf wackeligen Beinen. Da hört man besser die frühen Songs von Coldplay.
Ein armer, irregeleiteter Möchtegern, dessen Musik man leider nicht ungehört machen kann. So lautete kürzlich das Urteil der englischen Popzeitschrift NME über Tom Odell. Das seltene Urteil: null von zehn Punkten. Noch mehr Aufsehen erregte der Vater des Geschmähten, der empört bei der Redaktion anrief, um sich über die Rezension zu beschweren. Nur wenige Monate zuvor hatte Odell immerhin den Kritikerpreis der BRIT Awards gewonnen.
Wer ist dieser Mann, an dem sich die Geister scheiden? Der Sänger und Pianist mit Kurt Cobains Frisur ist 22 Jahre alt und wuchs an der englischen Südküste auf. Jahrelang hat er Pubs und Bahnhofshallen mit seinem folkigen Indiepop beschallt, bis ihn Lily Allen entdeckt. Viele feiern ihn als zweiten Chris Martin, demnächst spielt er im Vorprogramm der Rolling Stones. Besonders die Belgier und Niederländer sind verrückt nach ihm.
Weshalb, erschließt sich nicht wirklich. Man mag den Verriss des NME für verstiegen halten, doch auch die Lobeshymnen erscheinen fehlgeleitet. Ein junger Mann, hörbar beeinflusst von Elton John und Billy Joel, der Klavier spielen kann und leidlich über die Liebe singt: nicht mehr und nicht weniger. Über weite Strecken erinnert sein Debüt an die frühen Songs von Coldplay, bloß ohne deren Qualität und Tiefe.
Stücke wie Another Love beginnen vielversprechend, arten dann aber aus in belanglosen Pianorock mit Backgroundchor und Gitarren. Talent ist vorhanden, aber es steht auf wackeligen Beinen. Für einen Singer-Songwriter ist seine Stimme nur passabel, sie vermag höchstens im brüchigen Falsett zu berühren. Positiv fällt auf, dass das Album nicht glatt produziert ist, sondern sympathisch roh und unperfekt wirkt. Da darf sogar mal ein schiefer Ton stehen bleiben.
Viele Songs wirken gefühlig und aufgesetzt, so als beobachte Odell sich stets beim Singen im Spiegel und kalibriere den gebotenen Grad an Emotionalität. Die Hauptquelle seiner Inspiration sei seine Unfähigkeit, länger als ein halbes Jahr mit einer Frau zusammen sein zu können, sagt Odell. „She got a new boyfriend / A little too soon if you’re asking me„, singt er einmal. Klingt mehr nach Chatschwärmerei als nach echtem Herzschmerz.
Neben dem wirklich schönen Sense und dem dynamischen Titelstück zählt das lässig-schleppende Supposed To Be mit Surfgitarre im Hintergrund zu den Glanzlichtern. Doch auch hier gibt es einen Haken, ähnelt Letzteres doch fast unverschämt Bob Dylans Lay Lady Lay. Und die gefühlt Hundertste Coverversion von Randy Newmans I Think It’s Going to Rain Today ist schlichtweg überflüssig.
Jede Generation von Popmusikern lässt sich von ihren Vorgängern inspirieren und hält doch gerade ihre Ausdrucksform für besonders neu und einzigartig. Seinem Alter gemäß sinniert Odell über die Liebe, fühlt sich unsicher und unverstanden. Ein junger Mann, der während der Finanzkrise volljährig wurde. Daraus hätte große Kunst entstehen können. Doch bei ihm wirkt es oft oberflächlich, schablonenartig, nach Copy-and-paste: Klavierpop für die Generation Instagram. Nicht unbedingt null Punkte, aber auch kaum Likes.
„Long Way Down“ von Tom Odell ist erschienen bei Sony Music.