Die Boxen scheppern serienmäßig: Was taugt das neue Album der Pet Shop Boys? Jan Kühnemund hat es auf der Auto(r)fahrt in den Urlaub dem Praxistest unterzogen.
Eben noch vor dem Urlaub aus dem Briefkasten gefischt: das neue Album der Pet Shop Boys, Electric. Auf der Nachtfahrt zwischen Nordwestdeutschland und Nordostfrankreich durchgehört, sicher sieben, acht Mal.
Gleich zu Beginn schließt sich ein Kreis. Zu Axis brezelt es sich standesgemäß die Autobahnauffahrt hoch, „Turn it on, power it up, electric energy„, krächzt es minimalistisch zu einem durchaus überraschend heftigen Beat. Wie eine Verneigung vor Kraftwerk wirkt das, nicht nur auf der Autobahn. Die musikalischen Mittel sind gleichwohl ganz andere; die Beats, die fortan buttercremig aus den Lautsprechern quillen, haben mit Kraftwerk herzlich wenig gemein, zu sättigend, zu dick aufgeschlagen. Spaß macht das trotzdem an vielen Stellen.
Zu dickem Beat sausen wir durch den südoldenburgischen Schweinegürtel. Love Is A Bourgeois Construct, ja, haha. Die Beifahrerin lobt die überkandidelte Melodie, den Beat findet sie schrecklich. Sowas liefe sonst bei NDR Welle Nord. „Love is a bourgeois construct„, singt er das? Immerhin. Besser noch: Als er herausgefunden habe, dass die Liebe ein bürgerliches Konstrukt sei, habe er die Bürgerlichkeit eben aufgegeben. Diese Spannung hält Electric zusammen, hier die brüllenden Beats, dort die lakonischen Melodien und dieser hübsch britische Zungenschlag von Neil Tennant.
Vor dreißig Jahren brachten er und sein Keyboarder Chris Lowe ihr erstes Album raus, Please. Seither variieren sie ihren Stil allenfalls behutsam und stehen doch immer leicht schräg zum Zeitgeist. In der Gegenwart nichtlinearer Berufsbiografien wirkt ihr stetes Tun anachronistisch. Schöne, heile Welt Musikbusiness?
Parkplatz Gimbter Heide, Bolshy rattert zum zweiten Mal durch die serienmäßig scheppernden Lautsprecher. Beinahe bruchlos setzt das an, wo die Pet Shop Boys und Shep Pettibone vor dreißig Jahren die erste Disco-Folge auflegten. Überhaupt sind da unzählige Zitate, in der Regel mehrfach gefilterte Selbstzitate. Love Is A Bourgeois Construct baut auf einer Keyboardmelodie auf, die Madonna schon von Abba geklaut hatte, ein Klau, der ohne die Pet Shop Boys und ihr reges Tüfteln am Poptrash (Go West!) unvorstellbar gewesen wäre.
Irgendwo nach der Abfahrt Madonna kam der Produzent Stuart Price ins Spiel, er dreht nun in der Haustierdisko an den Knöpfchen. Er hinterließ in den vergangenen zehn Jahren ein derartiges Völlegefühl, das man ihn hier kaum erwartete. Oder vielleicht gerade hier? Beim wiederholten Hören lassen sich zwei Gruppen von Liedern erkennen: solche, die nach Stuart Price klingen (nicht so gut) und solche, die das nicht tun (besser).
Auf Höhe Enneppetal/Sprockhövel wieder Bolshy. Schon immer garnierten die Pet Shop Boys ihre grandiosen Singles mit solch unauffälligem Beiwerk. Das war auch bei Actually schon so, damals, mit neun, die erste Kassette vom eigenen Geld, Musikhaus Haass. Zehn Jahre später hatten alle Freunde coolere, erste selbstgekaufte Platten zu nennen, Cure, Bowie, Ramones, Smiths. Wahrscheinlich haben sie nur besser gelogen. Erst viel später wurden den Pet Shop Boys die Weihen wohlwollenden Feuilletons zuteil, zuletzt mit ihrem etwas fad dahinschleichenden letzten Album Elysium. Viel war über die Bedeutung und die künstlerischen Strategien der Pet Shop Boys zu lesen, wenig über ihre Musik.
Durch die Eifel, der Morgen graut, die Pet Shop Boys trällern eine wuchtige Version von Bruce Springsteens The Last To Die. Kannte schon vorher kein Mensch. Gut, dass der Verfasser in der Hülle vermerkt ist. Und auch wenn sich der Name Springsteen hier erst mal wie ein Tabubruch liest, so bleibt schließlich fraglich, was das Ganze soll.
Kurz vor Luxemburg geht zu Fluorescent die Sonne auf, das sind Pet Shop Boys at their very best. Ein knochentrockener Beat durchblitzt erhebende Keyboardnebel. Das Stück würde im Club noch am ehesten funktionieren. In Sachen Tanzbarkeit ist ihr bestes Album Relentless, das war nur eine Beigabe zu Very Anfang der Neunziger. Eine Fingerübung an sich, aber so dicht und direkt, wie sie es vorher nie waren, sind die Pet Shop Boys auch auf Electric nicht.
Das französische Formatradio spielt Johnny Halliday, und der schmeckt nach sieben Stunden Sahnetorte doch tatsächlich wie ein extrastarker Espresso.
„Electric“ von Pet Shop Boys ist erschienen bei x2/Kobalt Label Services/GoodToGo.
Hier geht’s zum großen ZEIT-Interview mit Neil Tennant und Chris Lowe.