Wie umgehen mit musikalischen Jugendsünden? AlunaGeorge empfehlen die Flucht nach vorn und erneuern den R ’n‘ B der späten neunziger Jahre auf originelle Weise.
Schon Anfang des Jahres galten AlunaGeorge als mögliche Zukunft des R ’n‘ B. Nur ein paar Singles hatten die Popprognostiker begeistert gestimmt. Nun veröffentlicht das Duo sein Debütalbum Body Music und wirft die Frage auf, welcher R ’n‘ B und welche Zukunft eigentlich gemeint sind. Ray Charles? Rolling Stones? Curtis Mayfield? Fünfziger, sechziger oder siebziger Jahre? Alles ehrenwert, in der Musik von AlunaGeorge aber nicht einmal als entferntes Echo zu hören.
Die Zeitrechnung des Londoner Duos beginnt erst in den späten neunziger Jahren. R ’n‘ B war da längst zur Hochglanz- und Hochleistungsmusik geworden oder – kulturpessimistisch ausgedrückt – verkommen. US-Produzenten wie Timbaland und The Neptunes verwalteten die Charts unter sich. Im Akkord lieferten sie den verschiedensten Interpreten Hit auf Hit. Viele wuchsen mit diesem R ’n‘ B auf, wurden alt genug, es besser zu wissen, und zogen weiter.
Aluna Francis und George Reid sehen das ganz unverkrampft. Zwar haben auch sie Umwege über kopflastige Indie- und Elektro-Projekte genommen, als AlunaGeorge inszenieren sie sich aber nach Art des R ’n‘ B der späten Neunziger und frühen Nullerjahre. Auf dem Cover von Body Music sitzt die Sängerin Francis in Voguing-Manier in einer Spiegelbox – Janet Jackson und Madonna blitzen durch. Im Hintergrundprisma in Denkerpose der Produzent Reid. Die Rollen sind offenbar klar (und stereotyp) verteilt. „It’s all like a déjà-vu„, singt Francis denn auch als erste Zeile des Albums.
AlunaGeorge zollen dem Genre Tribut und wollen es zugleich voranbringen. Niemals betrachten sie die Musik ihrer Teenagerzeit distanziert oder gar peinlich berührt. Schon mit der letztjährigen Single You Know You Like It stellten sie fest, dass das Leben zu kurz ist für guilty pleasures, zu kurz, um Schönes zu bereuen. Body Music erbringt nun den Beweis: Es endet mit einer aufgekratzten Coverversion von This Is How We Do It, dem einzigen Hit der R ’n‘ B-Stimmungskanone Montell Jordan. Wer so etwas hören will, muss heute eigentlich zu ironisch-nostalgischen Neunziger-Partys gehen oder auf Flohmärkten nach der Maxi-CD suchen.
Dieselbe Unbedarftheit, mit der AlunaGeorge diesen Edeltrash aufgreifen und die jahrzehntelange Vorgeschichte ihres Genres ignorieren, erlaubt ihnen auch, dem Perfektionsdrang des zeitgenössischen R ’n‘ B eine gewisse Schrulligkeit entgegenzusetzen. Reid verfremdet die Stimme von Francis, beschleunigt sie oder bringt sie zum Stottern. Seine Bässe sind wabbelig und seltsam verbogen, der Drumcomputer läuft mit Hang zur Schnappatmung. Garage- und 2Step-Anflüge verweisen auf die britische Herkunft der beiden. Das beste Stück auf Body Music heißt Attracting Flies, seine kriminell einprägsame Melodie aber eiert dem Rest des Songs mit rührender Hoffnungslosigkeit hinterher.
Durch solche Produktionstricks nehmen AlunaGeorge dem R ’n‘ B die Dekadenz der fetten neunziger Jahre und überführen ihn in die Gegenwart von Schlafzimmerstudios und Genre-Mashups. Das Duo hat Ambitionen in Neptunes-Größe, setzt sie aber mit den Mitteln von Do-it-yourself-Projekten wie Grimes oder The Weeknd um. Der Albumtitel erweist sich als irreführend: Diese Körpermusik ist Computermusik. Selbst wenn AlunaGeorge gelegentlich auf Gitarre oder Klavier komponieren, lassen ihre synthetischen Tracks die analoge Herkunft nicht mehr erkennen.
Dass die beiden mit dieser Herangehensweise nicht nur ein zeitgemäßes Album vorlegen, sondern auch ihrer Rolle als Hoffnungsträger gerecht werden, stellt Francis als eigensinnige Sängerin sicher. Sie schöpft aus der Tradition und denkt sie weiter: Die Stimme ist mädchenhaft, der Vortrag kulleräugig, ihre besten Texte aber begegnen der über Jahre antrainierten Sentimentalität des Genres mit erfrischender Hartherzigkeit. Wie sonst soll R ’n‘ B klingen, wenn er sich nicht mehr auf Stevie Wonder beruft?
„Body Music“ ist erschienen bei Island/Universal.