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Rockende Schmerzensmänner

 

Da ist alles drin, was Trost spendet: Das neue Album der Alternativerocker Glasvegas bringt Boomtown Rats, The Clash und Joy Division zusammen. Ergreifender, als es U2 je waren.

© BMG
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Und wenn die Welt da draußen wirklich kalt wird, herzlos und hart. Wenn die Hoffnung schwindet und der Zweifel nagt. Wenn es trist wird im Herzen, jeder Tag trüb und grau, das Leben ziellos, haltlos, freudlos – dann wäre es doch schön, wenn von irgendwoher eine Stimme aus dem Dunkel hallt und dir Mut macht, ohne Mitleid zu verströmen. Eine, die frei von süffiger Barmherzigkeit wahrhaft hilft. Die deine Gefühle nicht klein redet, sondern ernstlich mitfühlt.

Besonders im Falle größtmöglicher Einsamkeit wäre diese Stimme ein Segen, singt James Allen, Kopf und Hirn der famosen Alternativerockband Glasvegas. Dann nämlich, wenn man allein vorm Fernseher sitzt, tief nachts, und das Regelprogramm in jenes Ameisenhaufenrauschen übergeht, das früher mal für Sendepause stand und den drohenden Wahnsinn. Heute kommen stattdessen Shoppingkanäle und Soap-Wiederholungen, aber das macht es ja nicht besser und sprachlich allemal hässlicher als Later … When The TV Turns To Static.

So heißt das neue Album der vier schottischen Melodramatiker, und es sagt uns: Diese Stimme aus dem Off, das sind wir, und sie will dir mit maximaler Empathie Trost spenden, Hoffnung, ein Licht im Tunnel. Und wer dem lauscht, wer Allans emotional oft überschlagenen Gesang auf sich wirken lässt, die quietschenden Gitarren darüber ins Gemüt, all das Pathos ringsum am Kopf vorbei Richtung Magengrube – der fühlt tatsächlich zehn Stücke lang ein klein bisschen Erlösung.

Klingt zu inbrünstig, zu glühend, zu feierlich? Stimmt, aber das passiert halt rasch, wenn man sich auf Glasvegas einlässt. Als würden Stiff Little Fingers mit den Boomtown Rats im Bühnenoutfit von The Clash alte Joy-Division-Weisen in die Gegenwart transponieren, brettern sie ihren gefühligen Postpunk so ergriffen und ergreifend durch die Verstärker, wie es U2 nie wirklich vermocht haben.

Wenn James Allan im Titelsong gleich zu Beginn wie aus einer tiefen Höhle heraus von seiner inneren Leere erzählt und dazu „Dance Dance Dance / into the Future with me“ fleht, wenn sein Bruder Rab im anschließenden Youngblood feierliche Saitenflächen darüber fegt und all den ungebremsten Gemütswallungen à la „All I Want Is My Baby“ in Choices gar noch ein paar schwermütige Klavierfetzen untergejubelt werden, bedarf es schon eines Herzens aus Holz, um die Stirn über allzu viel Drama Drama zu runzeln.

Denn die Welt zwischen Liebeskummer und Zukunftsängsten ist Drama Drama, das Innenleben neuer Männer (mit Frau am Schlagzeug) zuweilen aufgewühlt und chaotisch, Beziehungen gehen, Trennungen kommen, alles gerät in Unordnung, wenn man seiner Trauer freien Lauf lässt. Und Glasvegas lassen laufen, pfeifen dabei auf Männlichkeit, sehen trotzdem ziemlich kernig aus, sind also nicht so richtig hipsterlasch, aber damit immens erfolgreich. Zumindest im Königreich. Das dritte Album von Allans hypersensitivem Rockkollektiv könnte also ruhig auch hierzulande durchstarten. Neue Länder braucht der Mann.

„Later … When The TV Turns To Static“ von Glasvegas erscheint bei BMG.