Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Neue Hymnen fürs Fußballstadion

 

Mit „Chelsea Dagger“ zogen sie 2007 durch die Fanblocks, jetzt kehren The Fratellis zurück in die Arena. Wenn ihre Songs auch alle geklaut klingen: Für Kickerchöre sind sie gut genug.

© WME
© WME

Rock’n’Roll will break your heart.“ Ist das nicht süß? Der gute alte Rock’n’Roll, so der Kinderglauben der Fratellis, kann Dir das Herz brechen. We Need Medicine heißt ihr neues Album. Und in ihrem fröhlichen Gegröle lassen sie keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass nur der Rock’n’Roll diese Medizin ist. Aber kann das tatsächlich noch einmal funktionieren? Der altersschwache Opa Rock’n’Roll, grantig und unleidlich, wie er ist, schwingt noch einmal die morschen Knochen und macht vergessen, dass er kein bisschen mehr auf der Höhe der Zeit ist?

Es funktioniert nur, weil die Fratellis, zurück nach einer zwischenzeitlichen Auflösung, konsequent alle Modernisierungsideen ignorieren. Weil die schottische Band gar nicht erst versucht, den Großvater mit knalligen Elektro-Beats, einem angesagten Produzenten, einem schicken Crossover zum Hip-Hop oder Gaststars aus anderen Genres halbwegs zeitgemäß auszustaffieren. Nein, das Trio aus Glasgow jagt dem alten Herrn einfach eine Adrenalin-Spritze mitten ins schon lange nur mehr zaghaft schlagende Herz: Das reicht, um Großpapa zumindest für diese Dreiviertelstunde, die die elf Songs von We Need Medicine benötigen, wieder auf die Beine zu stellen.

Dass der Sänger und Gitarrist Jon Fratelli, der eigentlich John Lawler heißt, der Bassist Barry Fratelli (Barry Wallace) und der Schlagzeuger Mince Fratelli (Gordon McRory) ein gewisses Talent zur eingängigen Hymne besitzen, haben sie bereits bewiesen. Schon ihre zweite Single Chelsea Dagger, ein Song von geradezu berückender Stumpfheit, stieg in den britischen Charts zwar nur bis auf Platz fünf und wurde vom Branchenblatt Rolling Stone bloß auf Platz 77 der besten 100 Songs des Jahres 2007 gewählt, schaffte es aber dafür dorthin, wo jeder echter Britpopstar noch lieber steht als auf der Bühne: ins Fußball-Stadion.

Nicht nur auf den Rängen britischer Stadien von Nottingham (Nottingham Forest) über Somerset (Yeovil Town) bis ins schottische Kirkcaldy (Raith Rovers) ist Chelsea Dagger seitdem allgegenwärtig, auch bei Juventus Turin hat sich der Song seit 2011 zu einer heimlichen Klub-Hymne entwickelt. Sogar im Fußball-Entwicklungsland USA hat der Hit eine unwahrscheinliche Karriere hingelegt: Die Chicago Blackhawks, eine der traditionsreichsten Eishockey-Mannschaften Nordamerikas, spielten im Jahr 2010 das Stück so lange nach jedem Tor, bis sie den Stanley-Cup gewonnen hatten.

Jon Fratelli gestand in einem Interview, dass ihn schon beim Komponieren von Chelsea Dagger das Gefühl beschlichen habe, den Song irgendwo geklaut zu haben. Der rechtmäßige Eigentümer hat sich sieben Jahren später aber immer noch nicht gemeldet. Folgerichtig setzt Lawler das Plagiat ungerührt fort und stellt mit dem dritten Album We Need Medicine nun elf weitere Songs zur Verfügung, die nahezu allesamt zur Verwendung im Stadion geeignet sind.

Dabei ist es vollkommen egal, ob The Fratellis das Banjo auspacken und sich an Irish Folk versuchen wie in Whisky Saga, ob sie mit This Old Ghost Town Country durch den Kakao ziehen oder sich in She’s Not Gone Yet But She’s Leaving am schunkeligen Northern Soul versuchen: Immer und ausnahmslos klauen sie ohnehin bei den Helden des Glamrock, am allerliebsten bei Slade. Deren ungebrochene Liebe zur nächstliegenden Melodie adaptieren sie ebenso wie die Energie der einfachsten Lösung und den naiven Glauben an die Macht des Rock’n’Roll, der sich an sich selbst berauscht. Yeah.

„We Need Medicine“ von The Fratellis ist erschienen bei BMG Rights/Rough Trade.