Wer Motörhead will, bekommt Motörhead. Das neue Album „Aftershock“ belegt amtlich: Nach 38 Jahren sind sie noch immer unter den Marktführern in der metallverarbeitenden Industrie.
Als Ian Fraser Kilmister unlängst in Berlin weilte, unterwarf er sich einer strengen Diät. Anstatt das legendär üppige Frühstücksbuffet der edlen Hauptstadtherberge zu nutzen, in der er abgestiegen war, ließ sich der Motörhead-Chef, den alle Welt nur als Lemmy kennt, jeden Morgen eine Flasche Whiskey aufs Zimmer bringen. Nach einigen Tagen wurde die hochprozentige Verpflegung aber wohl zu eintönig. Der 67-jährige Kilmister stieg um auf Wein.
Die kleine Episode belegt: Selbst im Rentenalter spielt Lemmy die Rolle seines Lebens, den ewigen Rock’n’Roller, immer noch mit großer Leidenschaft. Folgerichtig klingt seine Band auch auf ihrem 21. Studioalbum Aftershock wieder mal erstaunlich knackig. Der Bassist und Sänger Kilmister, der Gitarrist Phil „Wizzö“ Campbell und der Schlagzeuger Mikkey Dee mögen mittlerweile ein Durchschnittsalter von 56 Jahren haben, aber die damit einhergehende Erfahrung ist nicht zu unterschätzen.
Wichtig ist die in langjähriger Berufspraxis erworbene Sachkenntnis schließlich vor allem in jenem Teilbereich der metallverarbeitenden Industrie, in dem Motörhead immer noch zu den Marktführern gehören. Dort mit Vehemenz an bleischweren Blues-Harmonien, tiefergelegten Gitarrenriffs und Trommelfeuerschlagwerk geschraubt, als seien die Songs altersschwach ächzende Lastkraftwagen.
Also bekommt man von Motörhead, was man von Motörhead erwarten darf: Flott vorwärts geprügelte Rocksongs wie Heartbreaker, das in seiner Aufgeräumtheit fast mit Ace of Spades, dem größten Hit der Band, mithalten kann. Der Lost Woman Blues schunkelt streng im klassischen Blues-Schema, um sich dann im letzten Drittel doch noch in ein böse zuckendes Metal-Tier zu verwandeln. Dazu Texte, in denen es um Alkohol, Frauen und Krieg geht, also ausschließlich um Themen, die Männer in ihrer Freizeit beschäftigen. Die singt Lemmy mit seiner amtlich beglaubigten Kindermörderstimme, als müsse er Hartholz raspeln.
Zwar offenbaren Motörhead auf Aftershock bisweilen auch neue Seiten: In der zeitweise sogar halbakustischen Ballade Dust and Glass singt Kilmister mit einem Effekt, den man sogar Einfühlungsvermögen nennen könnte. Aber grundsätzlich bleibt alles beim Alten – und alles gut.
Denn dass eine Band, die 38 Jahre im Geschäft ist, vor allem damit beschäftigt ist, ihren Markenkern zu bewahren, ist nicht nur aus geschäftlichen Gründen verständlich, sondern spiegelt auch den grundsätzlichen Charakter von Rockmusik: Lange schon geht es in dieser Branche nicht mehr um jugendliche Rebellion, stattdessen stehen – passend zum in Ehren ergrauten Publikum – Werterhalt und Traditionspflege im Vordergrund. Selbst die Skandälchen, die Lemmy Kilmister in schöner Regelmäßigkeit produziert, weil er nicht davon lassen kann, Nazi-Memorabilia zu sammeln oder ein mittelalterliches Verhältnis zum anderen Geschlecht zu pflegen, regen niemanden mehr ernsthaft auf und gehören längst zum überlieferten Brauchtum. Seien wir ehrlich: Weiterentwicklung ist doch was für Weicheier, die keinen Whiskey zum Frühstück vertragen.
„Aftershock“ von Motörhead ist erschienen bei Rykodisc/Warner.