Die Münsteraner Band Messer verweigert sich dem kapitalistischen Wahnsinn. Ihr dunkler Widerstandsrock lässt selbst Joy Division oder Sonic Youth sonnig erscheinen.
Die Zeiten für echten Protest sind ziemlich deprimierend. Die Generation der heute 20-Jährigen wird wohl als erste nach dem Krieg geringeren Wohlstand als ihre Eltern erleben. Schlechtere Aufstiegschancen, es drohen Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, sogar Studierende bummeln nicht mehr rum, sondern funktionieren wie aseptische Halbleiterchips im kapitalistischen Verwertungswahnsinn mit all seinen misanthropischen Kürzeln, deren unbehelligte Entfaltung jede Widerstandsbereitschaft in Defätismus ertränkt. NSU, NSA und USA, CDU/CSU/CO2 – die Masse ist erstarrt. Was lohnt sich da noch das Gegenanbrüllen, Gegenansingen, Gegenanspielen.
Meinen auch Messer. Und tun es doch.
Auf ihrem zweiten Album nach dem viel beachteten, kommerziell indes total irrelevanten Vorjahresdebüt Im Schwindel verweigern sich die vier angehenden Akademiker aus Münster schließlich aufs Neue dem kollektiven Hamsterrad der Turbouniversität. Statt fürs Turbodiplom zu büffeln, verbringen sie abermals stattliche Anteile ihres Lernalltags an den Rockinstrumenten, rotzen wie gehabt gegen die gute Stimmung im Niedergang an, und doch ist da etwas anders als zuvor.
Im Schwindel nämlich wirkte als Konglomerat purer Wut, blanker Verachtung, aufgebrachten Krachs. Gediegen intoniert zwar, mit poetischen Worten und vertrackten Riffs, war die Platte vor allem eines: grober Alternativerock, teilaggressiver Postpunk deutscher Sprache mit versteckten Aussagetropfen im Adrenalinstrom.
Die Unsichtbaren hingegen vermeldet nun nicht nur schon im Titel eine gewisse Resignation: Fast jedes der zehn Stücke mit trübsinnigen Namen wie Die kapieren nicht, Staub oder Toll (mit Schaum vor dem Mund) erzählt klanglich die Geschichte des Einknickens vorm unentrinnbaren Desaster der Gegenwart.
Instrumentell bricht und knarzt und rumpelt und hallt es dabei entsprechend an allen Ecken und Kanten. Analoge Effekte unterlaufen nachdigitalisiert die treibende Taktung von früher, bis es zuweilen kakophonisch klingt. Mit viel Moll geht es atmosphärisch meist abwärts in die Tiefen der Avantgarde.
Und auch sprachlich seilen sich dazu Spinnen sinister von Lampen ab, wozu die Stimmen irgendwelcher Geister kalt erklingen. In Erinnerung an die feministisch renitenten Chicks on Speed wird Kaltes klares Wasser bloß noch als warmes, trübes Nass verwendet. Kein Wunder, dass die Gitarren dazu oft jaulen wie zwischen den tristesten Zeilen von Sonic Youth. Der Bass rollt dumpf drunter weg, als wolle er vor etwas warnen. Und Hendrik Ottrembas Gesang lässt Ian Curtis posthum selbst dann als sonniges Gemüt erscheinen, wenn es wie in Neonlicht mal fast ins Durhafte entgleitet.
All dies macht Die Unsichtbaren zu einer radikalisierten Erweiterung des ewigen Achtzigerjahrerevivals unter anderen Vorzeichen. Wollte die Wave-Fraktion von SYPH bis DAF damals beim Verstören der Ignoranten Spaß haben, leiden Messer offenbar am Spaß der Ignoranz im Umfeld unaufhaltsamer Verstörung. Zu pathetisch? Nach einer Plattenlänge Messer 2013 klingt jede Wagner-Oper wie ein Kinderlied.
„Die Unsichtbaren“ von Messer ist erschienen bei This Charming Man.