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Prosa macht den besten Pop

 

Zum guten Lied gehört eine feine Sprache. Die Songs von Kevin Hamann alias ClickClickDecker sind deshalb so eindringlich, weil er dem Alltag eine ehrliche Poesie schenkt.

© Audiolith
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Songwriting in Deutschland, das heißt entweder Tocotronic oder Tim Bendzko. Es scheint, als wäre zwischen doppelbödigen Slogans für die Popakademiker und der verschmusten Schlagerseligkeit der neuen Singer-Songwriter-Generation kein Platz für wirklich schlaues und heiteres Liedermachen. ClickClickDecker aus Hamburg hat trotzdem einen gefunden.

Kevin Hamann ist ein Großmeister des tragikomischen Bonmots. Schon die Lektüre der ClickClickDecker-Diskografie ist ein Spaß: Die Suppe schmeckt auch kalt, Sozialer Brennpunkt Ich, Wer erklärt mir jetzt wie das hier funktioniert?.

Hinter Hamanns aphoristischen Songtiteln verbergen sich Lieder ganz ohne Stumpfsinn, Klamauk oder Schläue. Vielmehr montiert der Hamburger seine Beobachtungen des Alltäglichen zu entwaffnend ehrlichen Momentaufnahmen. Für sein fünftes Album Ich glaube Dir nichts und irgendwie doch alles nach Jahren der Soloveröffentlichungen hat er sich nun Unterstützung von Oliver Stangl geholt. Auch dieses ist voll dieser Momentaufnahmen, in denen alles Platz hat, was einem den ganzen Tag im Kopf herumschwirrt: der Unfug, die Ängste, Hoffnungen und der Zweifel – vollkommen egal, wie banal, traurig, ironisch sie auch sein mögen. Hamann verarbeitet sie zu melancholischen Miniaturen von schlichter sprachlicher Schönheit.

Hamann ist nebenher auch noch passionierter Kurzgeschichtenschreiber. Und wenn es auf der ersten Single Tierpark Neumünster etwa heißt „Das Alter zieht seinen Schlitten, mitten durch dein Gesicht“, merkt man, wie gut den Texten die Prosa tut. Da spürt man förmlich, wie einem die kalten, rostigen Kufen durch die Wangen furchen werden, bis es höllisch brennt. An anderer Stelle wäscht sich der Wind durch die Jacke oder die Zähne mahlen in der Stille der Frühe. Für Zeilen wie diese liebt man ClickClickDecker.

Neu ist hingegen die Opulenz, mit der Ich glaube Dir nichts und irgendwie doch alles ausgekleidet wurde. Hamann hat die simple Formel der Vorgängeralben aus Akustikgitarre, dezenter Elektronik und Drumcomputer mit Oliver Stangl durch eine vielschichtige Instrumentierung ersetzt. Da schieben sich die Finger lautstark übers Griffbrett, während an anderer Stelle der Spielmannszug zum Refrain pfeift und sich ein ganzer Chor um das Mikrofon schart. Das ist bisweilen leider etwas zu viel des Guten – weil man genau das an den ClickClickDecker-Platten doch immer besonders mochte: Der Kitsch, der Überschuss und das Üppige mussten draußen bleiben.

Aber wenn Hamann dann Sätze wie „Ich mag erhöhten Pulsschlag und wie das in mir klingt“ oder „Wenn man immer nur zurückschaut, ist irgendwann nichts mehr da“ dahersingt, ist das fast vergessen. Zig solcher Sentenzen sind im Album versteckt. Manche verpuffen gleich wieder, andere hallen nach, wieder andere knallen einem vor den Kopf oder rauschen unangekündigt in die Magengegend. Das sind Momente, die man so vielleicht in Büchern, nicht aber auf Platten sucht und findet. Und es sind auch Momente, in denen man begeistert davon ist, wie schön Texte in der Popmusik doch klingen können.

„Ich glaube Dir nichts und irgendwie doch alles“ von ClickClickDecker ist erschienen bei Audiolith.