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Die ungeheure Wucht der Stille

 

Eremitenbart im Rampenlicht: Kaum hört man, was William Fitzsimmons wispert, und doch wollen ihn so viele erleben. Er singt Lieder für die selbstmitleidige Überflussgesellschaft.

© Groenland
© Groenland

Manche Musiker wirken so unscheinbar und dünnhäutig, dass ihr Erfolg nur ein Fehler im System sein kann. Wenn sie auch noch ein Album machen, dessen Titel so abwegig, realitätsfern, fast absurd ist wie Lions von William Fitzsimmons, stellt der Fehler sein System förmlich auf den Kopf.

Der amerikanische Singer/Songwriter hat ungefähr den Starappeal eines verlöschenden Teelichts und verbreitet auf seiner sechsten Platte in etwa die gleiche Aggressivität. Dass Lions wie seine drei Vorgänger starken Absatz und volle Hallen finden dürfte, zeigt also, wie wenig selbst die Arena des kühl kalkulierenden Popzirkus vor Überraschungsauftritten gefeit ist.

Denn dieser William Fitzsimmons ist eigentlich gar nicht da, er war es nie. Seit zehn Jahren tourt der Mittdreißiger schon durch den klangreduzierten Hallraum des männerbewegten Folks. Doch nicht wenige im Auditorium dürften noch immer darauf warten, dass er endlich mal zu singen beginnt. So leise wispert seine, nun ja, Stimme aus dem Eremitenbart zur Bühnenkante und geht dort im Krach umherfliegender Staubkörner unter. Wäre die Skala musikalischer Lautstärke nach Künstlern benannt, oben dürfte irgendwas wie Manowar stehen und unten – noch hinter John Cage – genau: William Fitzsimmons.

Wie er auch auf Lions die Emotionen, Sehnsüchte, die schmerzhaften Selbstfindungsprozesse seines zerrissenen Geschlechts in flüchtige Lieder tropfen lässt – das ist mit Musik nur noch halbwegs korrekt umschrieben. Der schüchterne Billy aus der Stahlmetropole Pittsburgh haucht seine Gefühle über die zarte Wandergitarre, als spielten beide Verstecken, ohne dass einer sucht. Doch genau das lohnt sich. Er sagt es selbst: „Die Leute, die mich wirklich verstehen, hören so viel mehr als bloß einen depressiven, bärtigen Kerl.“

In der Tat. Wer genau hinhört, entdeckt nämlich auch in der oberflächlichen Tristesse der zwölf neuen Songs eine ungeheure Wucht der Stille. Auf dem Dezibelniveau nächtlichen Atmens erzählt Fitzsimmons wie gehabt viel von Trennung und Beisammensein, von „quality of pain“ wie im ruhigen Josie’s Song und all der Liebe, die mal kommt, mal geht in den ruhigeren Songs ringsum. Da steckt stets ein Hoffnungsschimmer, der sich eben nicht aus lebensbejahenden Dur-Kaskaden und anschwellendem Up-Tempo speist, sondern tief im Inneren jener Brüchigkeit verborgen liegt, die derzeit eine ganze Generation realitätsüberdrüssiger Hipster prägt.

Ihren Gemütszustand, das Leid der Überflussgesellschaft an sich selbst, packt William Fitzsimmons so derart ergreifend in wortkarge Texte, dass jede erwachende Depression einen Abstecher in die Melancholie macht und dort vom Ausbruch absieht. Wie zum Beweis lässt Fitzsimmons gelegentlich ein paar Popelemente zu, gestattet hier ein bisschen Schlagzeug, dort ein wenig Stromverstärkung und flüstert der Welt sein Mantra zu: Die Welt ist scheiße, also hör auf dein Herz. Hör genau hin, denn es spricht ziemlich leise.

„Lions“ von William Fitzsimmons ist erschienen bei Groenland.