In einer besseren Welt stünde diese Berliner Folkpopband an der Spitze der Charts, nicht Wolfgang Petry. Das Quartett Fenster beschallt uns mit märchenhaften Wattebauschhymnen.
Es war mal eine Band, die hatte alles. Eine Geschichte, die zur Legendenbildung taugte. Das Aussehen, mit dem man den großen Erfolg erreichen kann. Und nicht zuletzt Songs, die einen nicht mehr loslassen, wenn man sie einmal gehört hat. Diese Band hieß Fenster und in einem Märchenland, in einer idealen Welt, stünden Fenster an der Spitze der Charts, füllten die großen Hallen und gewännen den Eurovision Song Contest, das Schlagerfestival von San Remo und – weil’s gerecht wäre – auch noch die Fußball-Weltmeisterschaft.
Weil die Welt aber nicht gerecht ist, steht Wolfgang Petry heute an der Spitze der deutschen Charts und wird im Sommer wieder flächendeckend Fanmeilen belästigen. Daran wird The Pink Caves, das zweite Album von Fenster, auch nichts ändern. Denn die Berliner Band macht einen großen Fehler, der im Außermärchenland nicht verziehen wird: Sie glaubt daran, dass weniger mehr ist. Dass Größe in den kleinen Tönen liegt. Und dass Reduktion das Glück verspricht.
Auf solch spinnerte Ideen kann man schon mal kommen, wenn am Anfang der Bandgeschichte eine schicksalshafte Begebenheit steht. Die Sache mit der Legende geht also so: Während der Aufnahmen ihres ersten Albums Bones in einem Übungskeller im Berliner Bezirk Steglitz fiel eines Tages ein Fenster auf die Sängerin JJ Weihl. Den Scherbenregen überstand sie weitgehend unverletzt, ihre Band hatte nun einen Namen und eine Geschichte zu erzählen.
Die Amerikanerin Weihl war 2009 aus New York nach Berlin gekommen, kurz darauf hatte sie Jonathan Jarzyna kennengelernt. In nur acht Tagen entstand Bones, dessen Klangbild gar nicht ungehobelt genug sein konnte, um das große Talent dieser Konstellation zum Popsong zu verhüllen. Vor allem Oh Canyon, eine so berückende wie wattebauschige Hymne zwischen Weird Folk und Dream Pop ließ Großes vermuten.
Zu diesem Song ließen Fenster einen anrührenden und doch ironischen Videoclip in niedlicher Amateur-Ästhetik inszenieren, in dem sich die Band auf die Suche nach den animalischen Helden der Raumfahrt begibt.
Für den neuesten Clip zum Song In The Walls hingegen wurde Bryn Chainey engagiert: ein vergleichsweise renommierter Regisseur, der viel Weichzeichner und eine üppige Ausstattung einsetzt. Und statt einer dilettierenden Band räkelt sich eine echte Schauspielerin in Leinen und Spitze.
Doch die filmische Entwicklung vollzieht nur die musikalische nach. Auf The Pink Caves haben sich Fenster, durch Rémi Letournelle und Lucas Chantre mittlerweile zum Quartett gewachsen, vom charmanten, aber bisweilen mülligen Sound ihres Debüts verabschiedet, ohne aber dessen erstaunliche Wärme aufzugeben. Statt zu viel zu wollen, verteilen sie die wenigen Töne dafür umso effektiver, klingen oft folkig, fast immer psychedelisch, mal nach Krautrock, dann nur wie Fahrstuhlmusik, aber doch stets intensiv. Die Songs sind komplexer geworden, ohne allerdings ihre Eingängigkeit eingebüßt zu haben. Diese Eingängigkeit ist keine zum Mitgrölen oder Schunkeln.
Diese Lieder nehmen den Hörer sanft an der Hand und führen ihn in ein Märchenland, in dem Fenster verdientermaßen an der Spitze der Charts stehen.
„The Pink Caves“ von Fenster ist auf Morr Music/Indigo erschienen.