Kettcar nur ohne Kettcar: Auf Marcus Wiebuschs erstem Solo-Album „Konfetti“ trifft man auf die gewohnte Radiotauglichkeit mit Botschaft und Niveau. Ja, und sonst?
Wenn es ein Unwort der Musik gäbe, den übelsten Popbegriff ever, schlimmer als noch Easy Listening, Horst-Wessel-Lied oder Saxofonsolo – es wäre wohl: Frontmann. Im Frontmann vereint sich militaristische Alltagssprachanleihe besonders furchtbar mit unterschwelligem Sexismus zu einer Art arglosem Führerprinzip der Massenkultur.
Nun kann man Marcus Wiebusch weder bellizistische noch machistische, geschweige denn diktatorische Triebe unterstellen; der Fro… äh, Kopf, nein: Bühnenkantenmittemensch vom Hamburger Schulkollektiv Kettcar ist ja eher als seidig brummelnder Gefühlsverwalter deutschen Diskurspops bekannt. Aber irgendwie stand er eben doch sein ganzes Bandleben an dem, was man mit der passenden Streitlust als das bezeichnen müsste, was zu kriegerischeren Zeiten „Front“ hieß: Zehn Jahre lange als systemfeindlicher Punkrocker von But Alive, zehn weitere als rachitischer Schmeichelbariton von Kettcar, stets im kritischen, pardon: Sperrfeuer der Gegenwehr. Immer mit Gitarre und Mikro vorneweg, stets das Gesicht in den Gegenwind, immer einer für alle mit den anderen dahinter, ganz gegen sein Naturell, wie er selbst sagt, aber musikalisch notwendig.
Jetzt jedoch dringt das „Front“ am „Mann“ aus Hamburg sogar noch weiter vorwärts: Marcus Wiebusch ist solo. Erstmals. Konfetti heißt sein Einzelprojekt, mit anderen Musikern, gut ein halbes Dutzend; am Ende allerdings steht er allein im Namenszug unter einer Reihe von Erfüllungsgehilfen, ja Angestellten. Einfach weil „alle musikalischen Entscheidungen von mir stammen“. Und nicht nur die.
Fast alles an Wiebusch ohne Kettcar erinnert an Kettcar mit Wiebusch. Die Texte mögen nicht immer so poetisch kodiert klingen, Sound oder Gesang zuweilen robuster, und dann wäre da ja noch dieses zornige, bitter nötige, ziemlich gelungene Schlüsselstück Der Tag wird kommen übers Coming-out eines schwulen Fußballprofis nach Hitzlsperger, aber angeblich vor ihm fertiggestellt, das bereits seit Wochen durchs Feuilleton rauscht – auch ohne sein gewohntes Umfeld bleibt Marcus Wiebusch unüberhörbar er selbst.
Kein Wunder: Zu unverwechselbar ist seine Stimme, zu diskurspoppig hanseatisch der Umgebungsklang mit feiner Gitarrengrundierung, treibendem Schlagzeug, ab und an ein paar Klavierfetzen und Samples, dazu reichlich urban poetry zwischen Haters gonna hate und Nachrichten für die Alpha-Männer. Das macht Konfetti zu klugem Indiepop aus Hamburg in der Tradition von Sterne, Blumfeld, Tomte, Kettcar, aber dank Sprechgesang, Bläsern, mehr Tempo, mehr Kraft „experimentierfreudiger“ als letztere, wie Wiebusch beteuert.
Mag sein, auch dass es toll klingt für jene Ohren, die auf derlei sanft gebrochene Geschmeidigkeit stehen, Radiotauglichkeit mit Botschaft und Niveau. Aber Konfetti ist und bleibt eben nicht neu, schon gar nicht spezifisch Wiebusch. Es ist Kettcar, nur ohne Kettcar. Die, die das lieben, werden jubeln, alle anderen kotzen. So ist das an der Front des Pop.
Konfetti ist erschienen auf Grand Hotel van Cleef.