Damon Albarn geht auf seinem Soloalbum ein wundervolles musikalisches Wagnis ein. „Everyday Robots“ verschmilzt das beste aus Mainstream und Avantgarde.
Wahrscheinlich ist es das Alter. Das muss das Alter sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass Damon Albarn unlängst verkündete, er könne sich vorstellen, unter Umständen eines Tages vielleicht mal zusammen mit Noel Gallagher ein Album aufzunehmen. Klar, mit den Jahren wird man entspannter. Man nennt das Altersmilde. Aber Albarn und Gallagher? Die Vorsitzenden der Institutionen Blur und Oasis? Die beiden großen Konkurrenten, Gegner, Alphatiere aus der Blütezeit des Britpop?
Mal sehen, ob die, von Albarn so genannte „nicht unwahrscheinliche Möglichkeit“, dass die beiden Säulenheiligen sich in einem Studio treffen, tatsächlich bald umgesetzt wird. Noch gespannter darf man dann auf das Ergebnis sein: Während Gallagher ob mit oder ohne Oasis stets denselben breitschultrigen Pathos-Rock produzierte, hat Albarn nicht nur mit Blur, sondern auch mit den Goriillaz, The Goods, The Bad & The Queen, Rocket Juice & The Moon, als Soundtrack- und Opernkomponist, als Produzent und auf diversen musikalischen Afrika-Missionen eine erstaunliche Vielfalt demonstriert.
Die ist in ihrer Gänze auf Everyday Robots, dem ersten Solo-Album des mittlerweile 46-jährigen Albarn, nicht zu finden. Die Vielfalt versteckt sich stattdessen im Kleinteiligen. Egal, ob Albarn ein Elefantenkind besingt oder die Probleme, Leidenschaft aufzubringen, während gerade der Fernseher läuft: Die meisten Songs sind jene typischen Albarn-Balladen, die er bei den Gorillaz bereits perfektionierte. Scheinbar ziellos mäanderne Songs, die in gemütlichem Tempo unterwegs sind, aber doch konzentriert auf der Suche nach dem perfekten Popmoment zu sein scheinen. Dass dieser Moment nur ein nie erreichbarer Sehnsuchtsort ist, wissen diese Songs aber auch nur allzu gut. Vielleicht klingen sie deshalb so melancholisch.
Ausgehend von dieser Blaupause entfalten Albarn und Richard Russell, die sich schon bei Bobby Womacks Comeback-Album von 2012, The Bravest Man in the Universe, den Produzentenjob teilten, eine große Freude am Detail. Im sich träge dahinschleppenden Titelsong experimentieren sie mit einer kleinen, nervig quietschenden Melodie, die Monotonie wird von hörspielartigen Zwischenspielen unterbrochen. Heavy Seas of Love, für das Brian Eno als Gastsänger gewonnen werden konnte, klingt mit seinem entspannten Handclapping und dem vielstimmigen Chorus so, als hätte der Sommer der Liebe 1967 nicht in San Francisco, sondern im Londoner Hyde Park stattgefunden.
Und manchmal, wie in der Miniatur Seven High, verliert sich Albarn in Soundspielereien und Geklimper auf dem Piano. Von den Klavierstunden, durch die er sich als Kind quälen musste, ist doch allerhand hängen geblieben. Vergleichsweise aufgeräumt wirkt nur das wundervoll luftig hingetupfte Mr Tembo, das in seiner hochmelodischen Hibbeligkeit auch von den Beatles, den Urahnen von Blur, stammen könnte.
Kleinster gemeinsamer Nenner ist die Stimmung. Die ist ganz wundervoll trübselig, auf grandios aufbauende Weise niedergeschlagen, erbaulich und doch auch sehr zurückhaltend, very british eben. Albarn setzt lieber einen Ton zu wenig als einen zu viel. Er spielt lieber herum, anstatt direkt auf einen Refrain zuzusteuern. Nein, ein weiterer Song 2, der demnächst in Fußball-Fankurven gesungen werden kann, ist auf Everyday Robots nicht zu finden, trotzdem aber sind viele Songs extrem eingängig.
Das überhaupt scheint Albarns große Kunst zu sein: Wie Radio-Pop zu klingen, aber niemals Radio-Pop zu werden. Das beste aus den Welten Mainstream und Avantgarde zu verschmelzen zu einer ganz eigenen, einerseits zugänglichen, andererseits niemals vorhersehbaren Melange aus wundervollen Melodien, eleganter Melancholie und musikalischem Wagnis. Ja, vielleicht ist das doch keine so schlechte Idee, die gemeinsame Platte mit diesem Noel Gallagher.
„Everyday Robots“ von Damon Albarn ist erschienen bei bei Parlophone/Warner