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Wut und Melodrama

 

Brody Dalle klingt so, wie Gwen Stefani mal klingen wollte. Ihr Album Diploid Love erinnert an den rebellischen Glamour von Blondie und der schillernden Aufsässigkeit von Hole.

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© Carolina International

Punk ist sicher der am häufigsten falsch verwendete Begriff im zeitgenössischen Popdiskurs. Ähnlich wie das Wort „Revolution“ muss er von dilettantisch über renitent, laut oder ungepflegt bis hin zu irgendwie links für alles herhalten, was sich dem aktuellen Mainstream musikalisch widersetzt. Da reichen manchmal schon zerrissene Hosen, brachiale Riffs oder schiefe Töne, um dem „Rock“ ein „Punk“ voranzustellen.

Brody Dalle ist demnach in etwa so punkig wie ein Sex-Pistols-T-Shirt – da kann die australische Sängerin auf ihrem Solo-Debüt noch so beherzt neben die korrekten Gitarrenbünde greifen.

Aber so läuft es nun mal im Business: Sobald eine Musikerin das adrette Mädchengehabe überwindet und es klanglich, sprachlich, visuell tüchtig krachen lässt, wird ihr selbst vom eigenen Label schnell mal ein Stempel des Aufsässigen aufgedrückt. So wie einst Gwen Stefani – noch so eine wasserstoffblonde Schönheit des Rock, die sich mit Tanktop, Skateboard-Attitüde und Moshpit-Ska fürs Millionengeschäft des R’n’B fithüpfte. Nur: Stefanis alte neue Kapelle No Doubt war nach einer kurzen Aufwärmphase im Underground bloß noch ein Sprungbrett für die Anschlusskarriere ihrer schicken Rampenfrau; bei Dalle dagegen verhält es sich etwas anders.

Kaum 16, stand die heutige Mittdreißigerin bereits vor Stars wie den Beastie Boys auf den ganz großen Bühnen, heiratete den echten Punkrocker Tim Armstrong von Rancid, gründete von The Distillers bis Spinnerette eine Band nach der anderen, stylte sich im Verlauf aber nicht peu à peu zur plastisch aufgeplusterten Sexbombe auf, sondern machte einfach weiter mit dem, was sie viel besser kann als für Hochglanzcover zu posieren: Beschleunigten Psychobeat zwischen altem New Wave und neuem Grunge. Mit viel Tempo, etwas Wut, aber auch mal hübschen Bläsersamples und viel Gefühl fürs Melodramatische.

Ihr Album Diploid Love füllt eine Lücke, die sich zwischen den Werken zweier anderer Künstlerinnen ganz ähnlicher Gestalt aufgetan hat: Debbie Harry und Courtney Love. Den rebellischen Glamour von Blondie mischt Dalle dabei mit der schillernden Aufsässigkeit von Hole und macht daraus ein ungemein spannendes Stück Gegenwartsgrunge.

Besonders das zweite Stück Underworld zelebriert dabei förmlich, was die Platte von Punk trennt, was aber auch viele der anderen acht Tracks mit ihm verbindet: Bis ins kleinste Detail durchproduziert, hinterlässt sein perfektes Arrangement stets den Eindruck des Unfertigen, Rohen, gar Inkompetenten.

Mit dem Dilettantismus früher Punkbands hat das zwar immer noch nicht mehr gemein als Schlagzeug, Bass, Gitarre und einen eher gerufenen als gesungenen Gesang. Doch Diploid Love atmet zumindest manchmal die raue Kraft des Anarchischen. Brody Dalle klingt dann so, wie Gwen Stefani wohl mal klingen wollte. Und zerrissene Hosen trägt sie auch noch.

„Diploid Love“ von Brody Dalle ist erschienen bei Carolina International