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Mondäne Trauerfeier

 

Schöner wird diese Saison garantiert nicht mehr Trübsal geblasen. I Never Learn von Lykke Li veredelt das Jammern zum extravaganten Zeitvertreib.

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© Warner

Jetzt ist das Geheule groß. Denn Lykke Li hat plötzlich was zu meckern. Aber kaum ein Interview vergeht, in dem sich die Schwedin nicht darüber beschwert, was früher schief lief. Dass sie in die Charts geraten ist, dass sie berühmt wurde, obwohl sie das doch gar nicht wollte, und überhaupt ist alles ganz ganz ganz schlimm. Ach, die Arme. Schreckliches Schicksal, wenn man einen Hit hat.

Nicht einmal dass I Follow Rivers in halb Europa die Spitze der Hitlisten eroberte, will Li Lykke Timotej Svensson Zachrisson, wie die 28-Jährige eigentlich heißt, heute verantwortlich sein. Schuld sei der belgische Produzent The Magician, der den Dance-Remix anfertigte, der den Song erst so erfolgreich machte. Was für ein Unglück

Höhepunkt eines musikalischen Bildungsromans

Ein anderes Unglück ist es, von dem ihr neues Album I Never Learn erzählt. Frau Li ist von einem Mann verlassen worden. Davor, auf ihren ersten beiden Alben, hat sie zwar auch schon traurige Songs geschrieben und gesungen, aber erst jetzt habe sie erfahren, wie sich ein gebrochenes Herz wirklich anfühlt.

So ist I Never Learn zum Abschluss einer Trilogie geworden, zum Höhepunkt eines musikalischen Bildungsromans, wenn man so will: Von den Wachstumsschmerzen erzählte Youth Novels, von den ersten Wunden des Erwachsenendaseins Wounded Rhymes, und nun berichtet I Never Learn – seinem Titel zum Trotz – von der Vollendung des Menschen, der erst das Leid erfahren muss, um sein Leben leben zu können.

Zweieinhalb Jahre lang hat Lykke Li in Los Angeles an diesem Album gearbeitet. Während draußen der ewige südkalifornische Sommer wütete, hat sie im eigenen Elend gebadet. Die Folge sind neun Lieder, in denen der Regen die einsamen Tage strukturiert, der Mond in einsamen Nächten scheint, Tränen in einsamen Stunden fallen und jemand seinen einsamen Weg geht auf gottverlassen Highways. Die Müden und Beladenen, singt Lykke Li, finden keine Heimat, und schließlich kommt sie zu dem Schluss: I’m never gonna love again.

Die arme Frau. Aber die Mühsal, muss man sagen, hat sich gelohnt. Jedes dieser herzerweichend traurigen Lieder ist ganz wundervoll. Episch sind die melancholischen Melodielinien, mächtig wie Kirchenschiffe die Klangräume und selbst die Rhythmen, scheinen sie auch erst einmal recht lebendig, wirken wie ihrer eigenen Existenz überdrüssig. Auch wenn Li, wie in Just Like A Dream, eine irgendwie dudelsackartige Pfeife und als Taktgeber einen leichten Marsch einsetzt, klingt das nicht nach irischer Suffseligkeit, sondern nach einer sehr mondänen Trauerfeier.

Schöner wird diese Saison garantiert nicht mehr Trübsal geblasen. I Never Learn veredelt das Jammern zum extravaganten Zeitvertreib, das Wehklagen zum ehrbaren Gewerbe und das Jaulen zu einer würdevollen Beschäftigung.

Währenddessen fallen, so weit geht die Geschichte in ihrem Hang zur ironischen Wiederholung, einige so eingängige und mitreißende Songs wie Gunshot oder No Rest For The Wicked an, die durchaus das Schicksal von I Follow Rivers ereilen könnte. Dann müsste Lykke Li noch mehr Hits aushalten. Da wird das Geheule wieder groß sein.

„I Never Learn“ von Lykke Li ist bei Warner erschienen