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Der Himmel über Brooklyn

 

New York kann auch ruhig und besinnlich sein: In gemäßigtem Tempo breiten The Antlers ihre epischen Songs aus. Ihr Album „Familiars“ hält eine verblüffende Erkenntnis bereit.

© Cooperative
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Ist ja zu verstehen: Man kann ja nicht immerzu übers Sterben singen. Dieses Gejammer die ganze Zeit. Das drückt auf Dauer ja ziemlich auf die Stimmung. Macht man sich auch keine Freunde mit. Deswegen singen The Antlers zur Abwechslung über etwas völlig anderes. Zum Beispiel übers Totsein.

Bevor die Band aus Brooklyn ins Studio ging, um ihr neues Album Familars aufzunehmen, hatte sich ihr Frontmann Peter Silberman vertieft ins Bardo Thödröl. Der buddhistische Text stammt aus dem 8. Jahrhundert und ist eine Art Reiseführer, der Verstorbenen helfen soll, den Weg vom Tod bis zur Wiedergeburt zu finden. Dieser Lonely Planet fürs Schattenreich wurde Silberman zur prägenden Inspiration, als er die Songs für Familiars schrieb.

Nicht, dass er allzu viel Einführung ins Thema gebraucht hätte. Der Gitarrist und Sänger kann getrost als musikalische Fachkraft fürs letzte Geleit bezeichnet werden. Bereits auf Hospice, der Platte, mit der The Antlers 2009 der Durchbruch gelang, stand das Ableben im Zentrum. Hospice war ein ungewöhnliches, ja sogar mutiges Konzeptalbum, weil es sich gegen die in der Rockmusik sonst vorherrschende, verklärende Sicht auf den Tod stellte. In zehn so wundervollen wie schmerzenden Songs erzählte Silberman nicht etwa von einem heroischen Rock-’n‘-Roll-Tod, sondern die Geschichte einer Liebe, die der Krebs trennt. Eine Geschichte, die im titelgebenden Hospiz endet, ausgebreitet ohne falsches Pathos und mit allen emotionalen Untiefen, von der Verzweiflung über die Trauer bis zum Hass der Überlebenden auf die Sterbenden, neben deren Leid kein Platz mehr bleibt für die eigenen Empfindungen.

Familiars lässt sich nun, wenn man so will, als inhaltliche wie musikalische Fortsetzung lesen. Zwar wird nicht ausdrücklich die Geschichte des Paares von Hospice weiter gesponnen. Aber Silberman hat Songs geschrieben, in denen der Himmel mal ganz profan eine Warteschlange ist, in die man sich an der nächsten Straßenecke einreihen kann. In anderen Songs versucht er zu ergründen, wie es ist, hinter seinem eigenen Spiegelbild gefangen zu sein oder das alte Ich zu verlassen, ohne es jemals endgültig loszuwerden.

Aber es kann einem eigentlich herzlich egal sein, wovon Silberman singt, wenn er nur so singt, wie er singt, und dazu zusammen mit Multiinstrumentalist Darby Cicci und Schlagzeuger Michael Lerner diese wundervolle Musik macht. Nach dem nicht ganz so geglückten Burst Apart von 2011 ist Familiars eine Rückkehr zu alter Größe. Sich langsam erhebende, dann aber umso gewaltiger sich erweiternde Songs, die sich schon lange von dem Postrock-Muster entfernt haben, das die Frühzeit der Band prägte. Stattdessen Stücke von epischen Ausmaßen, die ihre weihevolle Dramatik bis zum Letzten auskosten, ohne jemals im Kitsch zu versinken. Das Tempo stets gemäßigt, doch niemals verschlafen. Die Stimmung inbrünstig, aber niemals pastoral, selbst wenn die immer wiederkehrenden Bläser nicht selten an einen evangelischen Posaunenchor gemahnen.

Eine sehr schöne, niemals aber zu schöne Platte, und die tröstliche Erkenntnis: Der Tod klingt gut.

„Familiars“ von The Antlers ist erschienen bei Transgressive/PIAS/Cooperative.