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Streit um die Luftgitarrenhoheit

 

Das Gitarrensolo kommt zurück. Tim Showalter zeigt mit seiner Band Strand of Oaks, wie Lagerfeuermusik mal so richtig das Spanferkel rauslassen kann.

© Dusdin Condren
© Dusdin Condren

Das Gitarrensolo hat’s nicht leicht. Im Präkambrium des Rock als quirliges Accessoire strukturierender Riffs erfunden, verkam es irgendwo zwischen Kraut, Glam und Heavy Metal zum selbstreferenziellen Masturbationsritus. Dort lungert es seither haltlos herum – verhasst wie vergöttert, isoliert und seelenlos. Kein Leben für Wankelmütige, so ein Gitarrensololeben.
Außer unter Tim Showalters Obhut.

Fast wirkt er wie einer dieser modischen Waldschrate, ein verträumter Jutebeutel-Slacker mit viel Haar. Aber dann knallt er gleich unter den ersten Titel seiner neuen Platte namens Heal ein Donnerwetter zuckender Saiten, als gäbe er auf der Mensur den Hummelflug. Mit Klassik haben Goshen ’97 und die nachfolgenden neun Stücke allerdings so viel zu tun wie mit dem gefürchteten Hair Metal und seinem instrumentellen, vom Arrangement völlig entkoppelten Kompetenzgerangel. Was nach krachender Stilvermischung klingt, macht Heal zu etwas wirklich Besonderem.

Oberflächlich klingt Showalters fünftes Album zwar manchmal, als würde er sich zur Bestätigung der eigenen Fähigkeiten bloß bei fremden Genres bedienen. Darunter jedoch glänzt eine Außergewöhnlichkeit, die in seinem Metier selten ist.

Strand of Oaks, so der Name der Live-Formation um Showalter, erfindet die Gitarrenmusik zwar nicht ganz neu, wirkt aber irgendwie originell. Tief im Herzen ist dieser Beardo aus Philadelphia einer folkbasierten Americana verpflichtet. Er fügt ihr Hippieeskes hinzu wie auch Elektronisches. Noch tiefer im Herzen will er die reduzierte Melancholie seiner musikalischen Wurzeln aber offenbar einer Urschreitherapie unterziehen – auch wenn selten seine Stimmbänder schreien, sondern meist Gitarren.

Schon im Titeltrack nimmt Showalter düsteren Wave und macht daraus Rock. Im darauffolgenden Same Emotions nimmt er ethnisch gefärbten Pathospop und macht daraus harten Rock. Wenig später dann nimmt er die schwermütige Indieballade JM und macht daraus härteren Rock. Bis das elegische Mirage Year in ein derart wüstes Geschrammel ausfranst, dass Hard- und Punkrock um die Luftgitarrenhoheit streiten. Hier werden Strand of Oaks zu Berserkern des Mash-up, der sich nicht mit Aneignung zufrieden gibt, sondern Transformationen will.

Kurz gefasst klingt Heal bisweilen wie Lagerfeuermusik, die mal kräftig das Spanferkel rauslässt. In jedem Fall aber ist es ein ziemlich gelungenes Album – sofern man sich auf Gitarrensoli einlässt. Das sei in diesem Fall dringend angeraten.

„Heal“ von Strand of Oaks ist erschienen bei Dead Oceans.