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Digitale Nebel überm Himalaya

 

Imogen Heap musiziert mit eigenen Apps und einem elektronischen Datenhandschuh. Ihr neues Album „Sparks“ klingt popgewohnt und doch ein bisschen aufregend.

© Megaphonic
© Megaphonic

Kompositionssoftware? Kann heutzutage jedes Kind bedienen. Schicke Sounds? Findet man im Internet. Ein Studio bezahlen? Muss man nicht, wenn man in der eigenen Küche aufnehmen kann.

Musik herzustellen, das ist so einfach wie nie zuvor. Imogen Heap ist es offensichtlich zu einfach. Jedenfalls hat sich die englische Musikerin für ihr neues Album Sparks ein paar besonders exzentrische Methoden ausgedacht, den mittlerweile eigentlich so simplen Akt des Musikmachens erheblich zu verkomplizieren.

Um Teile ihres vierten Studioalbums einzuspielen, ist sie nicht nur in den Himalaya gereist und hat in einem Park in der chinesischen Stadt Hangzhou aufgenommen. Sie hat außerdem ihre Fans aufgerufen, Soundschnipsel zu schicken, die sie in ihren Songs verwenden würde, und auf einer Website Bildern von Fußabdrücken hochzuladen, die zur Gestaltung des CD-Covers dienten.

Ein Song wurde mithilfe einer Jogging-App aufgenommen, die auf ihre Initiative hin entworfen wurde. Nicht zuletzt benutzt sie High-Tech-Handschuhe, an deren Entwicklung sie mitgearbeitet hat: Mit Handbewegungen kann sie nun akustische Instrumente spielen, deren Töne bearbeiten, verstärken und aufnehmen.

So viel Experiment war selten. Aber damit nicht genug. Die 36-Jährige, die sich bei Podiumsdiskussionen unter Technik-Nerds mittlerweile ebenso zu Hause fühlt wie auf einer Konzertbühne, hat auch noch einen Song geschrieben, der womöglich nie vollendet wird: The Listening Chair ist bislang fünf Minuten und 24 Sekunden lang, rekapituliert das bisherige Leben seiner Autorin und soll alle sieben Jahre mit den aktuellen Ereignissen um eine weitere Minute verlängert werden. Jedenfalls so lange, bis Heap, die im November Mutter wird, einmal das Zeitliche segnet.

Wie sich das anhört? Eher unübersichtlich. Abgesehen von wenigen ins Pop-Schema passenden Songs, wie das entspannt pluckernde Lifeline oder den Jogging-App-Song Run-Time, folgen Klangexperimente auf harmonische Wagnisse, während sich althergebrachte Strukturen auflösen.

Mal zischelt es hier, dann setzt dort ein neuer Rhythmus ein, Klänge aus Asien oder Afrika tauchen ebenso auf wie Ideen vom Rummelplatz oder profane Alltagsgeräusche. Manchen Track kann man sich zeitweise auf einem Dancefloor vorstellen, andere heben ohne große Umschweife ab ins Fantasialand. Dazu beschreibt Heap singend freizügig, aber nicht ganz kitschfrei die Freuden der Sexualität: „On islands of cotton taboos got forgotten.

Die größte Überraschung dieses an Überraschungen wahrlich nicht armen Albums ist allerdings die Tatsache, dass Sparks trotzdem nicht auseinanderbröselt. Vielleicht liegt das daran, dass Heap zwar ständig Hörgewohnheiten infrage stellt, sich klanglich dann doch oft genug in bekannten Bezugssystemen bewegt.

Womöglich sind auch die überwältigend schönen Melodien schuld, die sich aus der ganzen irritierenden Vielschichtigkeit herausschälen wie ein Rettungsboot aus dem Nebel. Auf dem gleitet man dann doch halbwegs beruhigt in eine ungewisse, aber wahrscheinlich aufregende Zukunft.

„Sparks“ von Imogen Heap ist erschienen bei Megaphonic/Rough Trade.