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Zurück zum Innenohr

 

Ein schwedisches Ehepaar auf der Suche nach der Urkraft der Musik: „Rhythm“ von Wildbirds & Peacedrums hat alle Widerhaken, die dem heutigen Allerweltspop fehlen.

© Klara Kaellstromen/Tobias Faeldt
© Klara Kaellstromen/Tobias Faeldt

Übers paläoanthropologische Gebaren ist wenig mehr bekannt, als dass wir gegessen, geschlafen, gevögelt, gesammelt, gejagt und irgendwann Werkzeug benutzt haben. Selbst, ob die ersten Hominiden musizieren konnten, bleibt bloße Spekulation. Doch wenn sie es taten, so viel erscheint sicher, dann mit Stimme und Stöckern, Steinen, allem was rummst.

Wildbirds & Peacedrums sind so gesehen Atavismen der weiten Welt des Klangs. Das Ehepaar aus dem schwedischen Göteborg benötigt für seinen ekstatisch reduzierten Sound nicht mehr als Mariam Wallentins Gesang und Andreas Werliins Schlagzeug. Ab und zu mal ein verstohlenes Bassfragment – schon beginnt die Rückkehr zu den Wurzeln der Musik. Sie klingt auch auf ihrem vierten Album mit dem passenden Titel Rhythm nach allem, was dem zeitgenössischen Pop an Widerhaken, Abzweigen, Zwischentönen fehlt.

Rhythm ist verschroben und wahnsinnig, rätselhaft und eigentümlich, manchmal dämonisch, fast hysterisch, jedenfalls heißblütig, unvergleichlich, selbstgewiss und somit exakt die Antithese zum Wesen des Pop, das sich aus allem zusammensetzt, was schon mal zu hören war.

Rhythm war noch in kaum einem Ohr, nicht in dieser Form. Sicher, Wallentins theatralisch dargebotene Texte über alles Erdenkliche rings um Liebe, Lust und Leidenschaft orientieren sich trotz gelegentlicher Ausflüge in vertrackte Tremoli am klassischen Notenvokabular. Auch Werliins Peacedrums drehen nicht ständig durch wie das Tier bei den Muppets, sondern variieren die Takte bei aller Raserei mit präziser Strukturbereitschaft. Doch die extreme Reduktion der neun neuen Stücke aufs Rhythmische, das Fehlen einer harmonischen Melodie, der Dschungelgestus im Großstadtstudio – all dies führt das Publikum zurück auf eine Innerlichkeit, die der zeitgenössischen Popmusik längst ausgetrieben wurde.

Rhythm ist ein Sound zum Eintauchen, Absinken, Verharren, Bewegen, Auftauchen, Staunen. Man kann den vergleichsweise gefälligen Fusionjazz Ghosts & Pains zum Auftakt ebenso wenig nebenbei laufen lassen wie das hypnotische Mind Blues weiter hinten. Die Platte fordert Raum und Zeit, Konzentration, ja Andacht, jedenfalls Aufmerksamkeit. Bei Konzerten ist das im Saal greifbar. Doch auch daheim kann man der Vereinnahmung schwer entgehen. Wer es dennoch versucht, zählt entweder bald zu jenen, die den Kopf schütteln und auf Dudelfunk schalten. Oder zu denen, die förmlich durchdrungen werden von Wildbird & Peacedrums. Sie verwandeln sich dabei nicht zurück in Urmenschen. Aber ein neuer Weg zu Hören, der kann sich schon daraus entwickeln.

„Rhythm“ von Wildbirds & Peacedrums ist erschienen bei The Leaf Label.