Der bunte Mann in Schwarz: Wer allen Facetten des großen Country-Meisters auf die Spur kommen will, höre die „Bootleg“-Serie. Teil vier zeigt ihn als Spirituellen.
Was war dieser Johnny Cash eigentlich für einer? Wer den gealterten Man In Black auf den rohen American Recordings kennen gelernt hat, kann meist mit dem Label „Country“ wenig anfangen, das unlöslich auf ihm klebt. Country-Kenner verweisen gern darauf, dass der Sänger zu Beginn seiner Karriere eher ins Rockabilly-Genre gehörte. Und wieder anderen ist das alles völlig egal.
Das bunte Bild des Schwarzgekleideten komplettiert jetzt der vierte Teil der Bootleg Series, mit der Sony verschollene, unveröffentlichte oder einfach wenig beachtete Aufnahmen an die Hörer bringt. Im vierten Teil sind es religiöse Songs, seit Mitte der siebziger Jahre aufgenommen.
Ende der sechziger Jahre lässt Cash seine Drogensucht hinter sich. Die Outlaw-Attitüde, mit der er sich vom Glitzerbetrieb der Country-Hauptstadt Nashville abgesetzt hat, ist etabliert genug, um ein bisschen Seelenheil verkraften zu können. Trotzdem zögert seine Plattenfirma Columbia, als Cash 1979 das Gospel-Doppelalbum A Believer Sings The Truth aufnimmt. Cash bringt es kurzerhand erst einmal selbst heraus.
Johnny Cash – The Soul Of Truth: Bootleg Vol. IV
Die 25 Songs bilden das Kernstück der beiden CDs von Bootleg-Folge vier. Dazu kommt ein Dutzend Songs, die Cash 1975 für ein namenloses Album einspielte, das nie veröffentlicht wurde. Es folgt die vergriffene LP Johnny Cash – Gospel Singer, 1983 aufgenommen für Priority Records, das Gospel-Label von Columbia. Vier auf dem Album nicht verwendete Tracks komplettieren die CD. Nur wenige Songs erschienen bislang auf CD-Kompilationen.
„Ohne Gospel-Musik hätte es Johnny Cash nie gegeben“, schreibt sein Sohn John Carter Cash im Beiheft: Seine Großeltern im verarmten ländlichen Arkansas hätten aus dem christlichen Glauben die Kraft zum Überleben bezogen. Einer ihrer wenige Schätze war ein Silvertone-Radio. „Wenn die Cashes am Freitag- oder Samstagabend lange aufblieben und Radio hörten, war es fast immer Musik. Und die Musik, die aus dem winzigen Lautsprecher kam, war fast immer Gospel“, schreibt Cash Junior.
Später habe Johnny Cash in jedem Konzert mindestens ein Spiritual gesungen, oft nach einem seiner raueren Songs wie Cocaine Blues oder Folsom Prison Blues : „Wenn er die Menge davon überzeugt hatte, dass er tough und cool war, hat er ihnen mit einer Nummer wie I Was There When It Happened oder Peace In The Valley den Rest gegeben“, schreibt sein Enkel.
Klar, so viele fromme Lieder können nerven, vor allem, wenn diese wallenden Frauenchöre dazwischensäuseln. Aber mit so entwaffnend schlichten Songs wie seiner eigenen Komposition The Greatest Cowboy Of All vermittelt Cash auch ein interessantes Bild seiner eigenwilligen Spiritualität. Für Cash-Einsteiger ist das vielleicht der falsche Zugang, aber man muss auch kein Sammler sein, um diese Facette zu goutieren.
Das vorausgegangene Bootleg-Album versammelte Live-Aufnahmen, Folge zwei der Reihe eine etwas wirre Mischung aus Radiosendungen, Demo-Tapes und Outtakes. Wer allerdings den American-Recordings-Cash liebt, ist mit Folge Eins am besten bedient: nur Cash und seine Gitarre, zwischen 1973 und 1982 selbst aufgenommen.
„Bootleg Vol. IV: The Soul Of Truth“ von Johnny Cash ist erschienen bei Sony Music.