Mit seinen Saxofonen und digitaler Hilfe schlägt sich John Surman durch Englands Moore und Moose. Das Album „Saltash Bells“ ist ein Schichtwerk aus Atem und Klang.
Sonnenschimmer auf den sanften Hügeln Südwestenglands. Nebel über Dartmoor, der kargen Moorlandschaft, wo die Bestie der Baskervilles bellt. Sommerregen auf Tavistock, das freundliche Kleinstädtchen, das sich „Tor zu Cornwall“ nennt. John Surman ist hier geboren und aufgewachsen. In seinen Kompositionen spürt er den Landschaften, Klängen, Gerüchen seiner Heimat nach: Diesmal mehr denn je, denn Saltash Bells war als Soundtrack zu einer Filmdoku geplant, deren Finanzierung nicht zustande kam.
Der Klang der Saltash Bells, der Glocken der Stadt an der Mündung des Tamar, zog über das Wasser, wenn Surman als Kind in den frühen Fünfzigern mit seinem Vater im Boot unterwegs war. Als leises Echo klingeln im Computer generierte Sounds in Glocken-Tonalität unter den sich teils doppelnden Saxofonlinien, die Surman mal rhythmisch pulsierend, mal elegisch in den Abendhimmel über Devon bläst. Manchmal schauen Wasservögel vorbei, dann schnattern die Rohrblätter seemöwengleich.
Surman hat schon 1972 im Alleingang ein Album aufgenommen, bei dem er seine Saxofone am Synthesizer begleitete, Westering Home. Es gilt als Markstein in seinem Werk. Immer mal wieder hat er solche introspektiven Alleingänge unternommen, zuletzt A Biography of the Rev. Absalom Dawe von 1994. Sonst ist der Saxofonist, dessen Karriere in den sechziger Jahren in der Mike-Westbrook-Band begann, für kräftigere Töne bekannt. Er hat mit ganz unterschiedlichen Jazz-Formationen gearbeitet, mit dem Gitarristen John McLaughlin, mit dem Posaunisten Albert Mangelsdorff, in Duos, Trios, Quartetten und Bands.
Seit Ende der siebziger Jahre gehört Surman zur Familie des Münchner Labels ECM von Manfred Eicher, bekannt für gepflegten Kammerjazz à la Keith Jarrett. Zuletzt hat er sich Parts in ungewöhnlichen Besetzungen geschrieben, mit Kirchenorgel und Chor etwa oder mit Streichquintett. Auch Lieder des Renaissance-Komponisten John Dowland hat er eingespielt, an die Zusammenarbeit des Label-Kollegen Jan Garbarek mit dem Hilliard-Ensemble erinnernd.
Jetzt also nach 18 Jahren wieder ein Solo aus Synthesizern und Saxofonen unterschiedlicher Lagen, Klarinetten von Kontrabass bis Alt sowie Mundharmonika geschichtetes Album. Westering Home musste er 1972 noch mühsam aus analogen Klängen am Mehrspurtonbandgerät zusammenbauen, jetzt dankt er im Booklet seinem Sohn Ben dafür, dass der ihn auf den Stand der neusten Software-Sounds gebracht hat.
Das Eröffnungsstück Whistmans‘ Wood – ein verwunschenes Waldstück in Dartmoor mit flechtenbärtigen Baumkrüppeln, in dem angeblich Dämonen hausen – klöppelt aus frostigen Rechner-Rhythmen feine Eisblumen, zu denen ein Bariton-Saxofon melodische Basslinien spielt, ein anderes in sehnsuchtsvolle Hornsignale ausbricht.
„Virtuose Klangteppiche“, wie ein zu paradoxen Wortkombinationen neigender Kollege meint, finden sich hier nicht; Auslegeware hat Surman nicht nötig. Wenn die örtliche Volksmusik On Staddon Heights (eine für ihren Golfplatz bekannte Anhöhe) zu einem fröhlichen Tänzchen aufspielt oder der frühe angelsächsische Bischof Ælfwin durch sein Bistum flaniert, wenn die Winter Elegy an Garbareks Reverien gemahnt oder Triadichorum (eine Surmansche Wortschöpfung) in eng geführten Harmonien stolziert, sind Bits and Bytes nur dezente Hilfsmittel. Es geht um Atem und Klang.
„Saltash Bells“ von John Surman ist erschienen bei ECM/Universal.