Das neue Album der österreichischen Alternative-Rocker Naked Lunch ist ganz großer Faschingsball. So gefühlsduselig und aufwendig kostümiert, und sie meinen das sogar ernst.
Bald ist Karneval – Zeit der Maskerade, Zeit der Mimikry, Zeit der Täuschung von sich und anderen. Bis zur Unkenntlichkeit verkleidet bläst diese kurze Frühjahrsphase dem Winter die Lebensgeister aus und holt sich neue im Gewand verdächtig kollektiver Euphorie. Nun wäre es natürlich ebenso absurd, die österreichischen Alternative-Rocker von Naked Lunch zu Karnevalisten zu erklären, wie ihr neues, sechstes Album zur saisonalen Schunkelmusik. Aber das Timing von All Is Fever wirkt schon ein wenig karnevalesk. Und die zehn Stücke darauf sind ganz großer Faschingsball.
Denn der Indiesound darauf kleidet sich in wallende Gewänder, er hüllt sich in Flitter und große Oper, in mächtige Sinfonien, paukenlaute Flächen und choralflankierte Epen. Es ist wie so oft, seit sich die vier Klagenfurter in 20 Jahren des Bestehens sukzessive vom harten Gitarrenrock früher Tage Richtung Fusion-Elektronik der Weilheimer Schule fortentwickelt haben, ein mächtiges, empathisches, gefühls- und effektlastiges Brett, das sie da bohren. Doch unter all den aufwendigen Kostümierungen scheint eben doch unablässig dieses mal Anämische, mal Irisierende durch, das Naked Lunch so besonders, so hörenswert macht. Eine Feinheit in der Komposition, eine Detailliebe im Überfluss, die ihresgleichen suchen.
Man findet es bisweilen in nostalgischen Gefilden, bei Tom Liwa, seinen Flowerpornoes, im frühen Hamburger Schulrock oder in den emotionalen Rockteppichen von Slut, ganz abgesehen von The Notwist, natürlich. Doch es bleibt eben doch genuines Naked Lunch, das da durch die Dudelsacksamples des Auftaktstückes Keep It Hardcore schimmert, die Geigen von The Sun oder das Klavier von At The Lovecourt. Stefan Deisenbergers Keyboard, Oliver Welters Schrammelgitarre, vor allem aber seine Stimme machen daraus dann diesen eigentümlichen Klang, dem man manchmal die falsche Nase vom Gesicht nehmen muss, um zu erkennen, dass die das ernst meinen.
Besonders dann, wenn man nicht zu fragen wagt, ob er sich nicht doch gerade als Bono verkleidet hat und die Band als Coldplay, wenn man also zu zweifeln beginnt, ob das Ganze vielleicht eine Spur zu gefühlig ist, zu seicht, bloß Pop mit Pink-Floyd-Attitüde. Das ist es und ist es nicht, trotz und wegen mancher Synthiekaskade, die oft an Filmmusik erinnert und gern süffige Textzeilen wie „dream, baby dream / until the morning comes / like lovers do“ darunter schmiert. Aber wer sich drauf einlässt, dem widerfahren Harmonien, die sich dem Verdacht falscher Vorbilder auf fast bezaubernde Art entziehen. Mit etwas, das man vielleicht als Magie bezeichnen könnte.
Es ist eine, die eingefleischte Karnevalisten dieser Tage auch auf den Straßen von Köln zu finden vorgeben, von Außenstehenden aber nur mit beißendem Spott kommentiert wird. Musik, die sich nirgends anbiedert, kann doch kaum erwarten, so zu polarisieren. Unter den schillernden Verkleidungen von Naked Lunch spielt schließlich ein independenter Haufen, der mit Rockklischees einfach nichts mehr am Hut hat. Und wenn in Lonely Boy die Stimme bricht, ist das sogar zum Heulen schön. Da darf die Maskerade gern ein bisschen aufdringlich sein.
„All Is Fever“ von Naked Lunch ist erschienen bei Tapete.