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Willis und die starken Männer

 

Polarwinde bringen heißen Funk: Die Soulsister Nicole Willis hat mit ihren bärtigen Finnen ein Album eingespielt, das die Vergangenheit aufs Gegenwärtigste feiert.

© Mikko Ryhänen
© Mikko Ryhänen

Finnland ist funky – wer Finnen kennt, weiß das, Leningrad Cowboys hin, Lordi her. Gut, Nicole Willis kommt aus Amerika, es hat sie aus Brooklyn nach Helsinki verschlagen. Aber aus den Namen ihrer Soul Investigators strahlt schon das Nordlicht: Pete Toikkanen (Gitarre), Sami Kantelinen (Bass), Jukka Sarapää (Schlagzeug), Antti Määttänen (Hammond-Orgel)… Nur der Zweitgitarrist und Produzent Didier Selin tanzt aus der suomischen Reihe.

Die Soulsister und die bärtigen Finnen in den abgerockten Jeansjacken, Willis und die starken Männer: Dass sie sich fanden, war für beide Seiten ein Glücksfall. Die Soul Investigators spielten schon in den neunziger Jahren zusammen, ohne dass außerhalb Finnlands irgendein Gockel nach ihnen gekräht hätte. Aber mit der Vokalistin vornedran klingen sie, als hätte James Brown sich im tiefsten Lappland ins Weihnachtsmannkostüm geworfen, um die Polarnacht mal ordentlich aufzumischen.

Auch Willis hat einige Erfahrung im Musikgeschäft – und das nicht nur, weil sie mit der finnischen Elektro-Jazz-Legende Jimi Tenor verheiratet ist (er spielt auf dem neuen Album Saxofon und hat das Cover-Foto aufgenommen). Schon in den achtziger Jahren spielte sie in London mit jenen Musikern zusammen, aus denen später die Brand New Heavies wurden. In den neunziger jahren in New York mischte sie mit bei einer frühen Version von Deee-Lite, ging mit The The auf Tour und nahm mit Curtis Mayfield auf.

Auch mehrere Solo-Soul-Alben brachte Willis, die in Lahti Kunst studierte, schon heraus. Bekannt wurde sie aber erst, als sie die Soulfinnen getroffen hatte. Der gemeinsame Erstling Keep Reaching Up samt Single If This Ain’t Love (Don’t Know What Is) wehte 2006 über die Tanzböen der Welt wie eine Polarbrise über die Steppen Lapplands – nur heißer. Barack Obama packte den Titelsong des Albums 2012 in seine Spotify-Playliste zur Wiederwahl.

Die Wartezeit auf den Nachfolger überbrückte ein Remix-Album, auf dem sich Mr. Scruff, Simbad, Afronaut und Co. an Willis vergriffen. Jetzt ist Tortured Soul da, in Finnland schon in den Top Ten. Der Sound ist, wie der Titel andeutet, ein wenig düsterer geworden. Ein schleppendes Schlagzeug lässt Detroiter Stahlarbeiter müden Schrittes durch ein kriselndes Motown ziehen. Gequälte Gitarren sitzen beim siebten Wah-Wah-Whisky in der Billigbar. Fette Bläsersätze leiden an melancholischen Echos. Nervös zittern Disco-Streicher auf Glitzerkugel-Entzug. Wie gut, dass die Hammond tröstlich wummert.

Sechziger-Jahre-Soul verschmilzt mit progressiverem Funk späterer Epochen, flirtet hier mal mit dem Jazz, da mit dem Stadionrock und schielt mit dezenten Elektronikklängen, die Jimi Tenor höchstselbst beisteuert, gelegentlich sogar in unser Jahrhundert. Immer mal wieder kommt ein Motiv einem bekannt vor, aber woher bloß?

Die Produktion ist so roh, wie sie sich nur ein mit allen digitalen Wassern gewaschener Produzent erlauben kann. Der Soul der Sängerin – standesgemäß kehlige Stimme, nebensächliche Texte – und ihrer Nordmannen ist jene Art von Retromanie, die samt Frisur und Make-up in vergangene Zeiten zurückführt und doch die Gegenwart in sich birgt.

„Tortured Soul“ von Nicole Willis & The Soul Investigators erscheint am 1. März bei Timmion/Groove Attack.