Die Musik der Wahlberlinerin Alina Süggeler ist so hinterhältig eingängig, dass man ihre Melodien kaum wieder los wird. Thomas Winkler möchte sich über das neue Album beschweren.
Ich muss mich jetzt mal beschweren: Seit zweieinhalb Tagen kommt mir dieser Refrain immer wieder in den Kopf. Uneingeladen, unerwartet und unkontrollierbar. Meist nutzt er die wenigen, wertvollen Momente der Ruhe, in denen das Denken zum Stillstand kommt – und drängelt sich einfach vor, grell und raumgreifend, deckt alles andere zu, hysterisch und aufdringlich. Vielleicht ist das eben das Berufsrisiko eines Popschreibers, aber weh tut es doch. Schließlich stammt diese hemmungslos eingängige und schamlos mit dem modischen Autotune-Effekt aufgemöbelte Melodie aus einer umstrittenen Quelle: Liebe ist meine Rebellion heißt die erste Single des neuen Albums von Frida Gold mit dem verwirrend ähnlichen Titel Liebe ist meine Religion.
Uncooler geht es kaum. In meinem Kosmos waren Frida Gold bislang die Band, deren Existenzberechtigung allein darin zu bestehen schien, ihrer Sängerin einen Grund zu geben, jede Woche bei ihrem Friseur einen neuen Haarschnitt in Auftrag geben zu können. Diese Frisuren waren meist sehr apart und durchaus geschmackvoll abgestimmt auf die Kostüme, die Alina Süggeler trug. Oder zu tragen schien, denn das erste Mal waren mir Frida Gold aufgefallen bei einem nachmittäglichen Fernsehauftritt, als Süggeler einen so eng anliegenden und so fleischfarbenen Ganzkörperanzug trug, dass ich bis zur Hälfte des Songs fast davon überzeugt war, sie wäre nackt. Ich weiß noch, dass ich dachte: Wo kommt die gute Frau nur her? Und was ist, wenn jetzt am Nachmittag Kinder zusehen? Was man halt so denkt, wenn man überrumpelt wird. An den Song allerdings kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern.
Jetzt also Liebe ist meine Rebellion. Musikalisch orientiert sich das Stück am Dance-Pop der ausgehenden neunziger Jahre. Nicht nur weil es ein Sample des Eurodance-Klassikers Freed From Desire von Gala enthält, sondern im Refrain noch dazu jenen Autotune-Effekt verwendet, den Cher mit ihrem Comeback-Hit Believe 1998 nachdrücklich im Mainstream etablierte, und der sich in jüngerer Zeit in den interessanteren Spielarten des Pop wiederfand. Auch die restlichen Songs auf dem Album hantieren mit Beats, die den Tanzboden zum Zittern bringen, als würde Captain Jack wieder in seiner Fantasieuniform aufmarschieren. Kurz gesagt: Das sind nicht eben die Referenzen, von denen man sich wünscht, dass sie sich im Hirn festsetzen.
In dieser Beziehung leisten Frida Gold allerdings Erstaunliches: Gegen diese Musik, ihre verführerische, ja geradezu hinterhältige Eingängigkeit, kann man sich nur schwer wehren. Melodien, die einen zum Mitsummen zwingen, und ein Rhythmus, bei dem jeder mit muss, weil er stets volle Kanne auf die Eins klopft. So gesehen fertigt die Band, die mittlerweile in Berlin lebt, aber ursprünglich aus Hattingen im Ruhrgebiet stammt, mit einem eher groben, doch immerhin vorhandenen Talent zum Handwerk eine Popmusik, die nur eins ist: Popmusik in ihrem reinsten Sinne. So gefällig, dass man sie nicht wieder los wird, auch wenn sie einem eigentlich nicht gefällt. Ob einem das gefällt oder nicht.
Denn der Intellekt, der sich ausführlich ärgern möchte über Texte, in denen ein Herz „vor Glück“ schlägt, sich „allein“ auf „Schein“ reimt oder Gefühle sich stets „im Rausch“ zu befinden scheinen, wird einfach umgangen. Frida Gold dringen direkt ins Stammhirn vor, sie sprechen Urinstinkte an. Den Hörer zu erinnern, dass er von denen gesteuert wird, ist vielleicht im Sinne der biologischen Wissenschaft eine ehrenvolle Aufgabe. Aber, seien wir ehrlich, weder kultiviert noch besonders angenehm. Grund genug also, sich zu beschweren.
„Liebe ist meine Religion“ von Frida Gold erscheint am 28. Juni bei Warner.