Mit viel Wut und Pathos macht das kalifornische Duo Middle Class Rut den Industrialrock wieder zeitgemäß. Als hätten die Neubauten ihr Stahlklangrepertoire neu sortiert.
Bamm – Kopf ab! Wer das erste Album der kalifornischen Zwei-Mann-Berserkerband Middle Class Rut aus dem sonnigen Sacramento hört, versteht den leicht morbiden Titel gleich etwas besser: Pick Up Your Head lautet er und kann sich im Grunde nur darauf beziehen, was man nach dem Auftaktstück Born Too Late tun sollte, um den Rest dieses furiosen Debüts weiter genießen zu können.
Mit einer längst verblichen geglaubten Kraft industriellen Hardcores peitschen der Gitarrist Zack Lopez und der Schlagzeuger Sean Stockham mit ihrer blechern geschrienen Doppelstimme eine Art von Industrialmetal durch die Boxen, den es seit den Sternstunden von Ministry, Killing Joke oder Fugazi so nachdrücklich selten gegeben hat.
Abgemischt vom Grammy-prämierten Produzenten Dave Sardy (LCD Soundsystem) entwickelt Pick Up Your Head zwölf Tracks lang eine bemerkenswerte Mischung aus analogem Ein-Zwei-Drei-Vier-Rock’n’Roll und digitalem Ergänzungskrach, der mit vergleichsweise schlichten Mitteln eine Soundwand errichtet, als hätte Jello Biafra mit den Einstürzenden Neubauten das Stahlklangrepertoire neu sortiert. Selbst der Bass ist darin auf Höhe gestimmt, die Vocals beißen sich wütend in die oberen Oktaven, wirken bei aller Schreierei aber nie unmelodisch, Stockhams Schlagzeug treibt dazu jedes Anfangstempo stur wie ein Uhrwerk Richtung Finale, während Lobez‘ Gitarre stets taktfest bleibt und sich nur in Stücken wie Sing While You Slave mal quietschende Ausritte ins Solo gönnt. Alles ist auf Präzision, Kälte und Tempo gebürstet.
Genau dieser Stoizismus aber entfaltet Stück für Stück eine Emotionalität, die sich nicht nur in den Texten über persönliche Verluste und menschliche Enttäuschungen erschöpft, sondern aus der Tiefe der Klangewitter kommt, von dort also, wo Gefühle scheinbar keinen Platz haben. Industrial von Middle Class Rut, das heißt, die Wut zwischen Punk und Hardcore mit dem Pathos von Metal und Noise in eine melodramatische Tiefe zu treiben, aus der man tatsächlich so etwas wie Harmonie schöpfen kann. Fabriksoundhärte fürs Herz sozusagen, manifestiert im stillen Abschlusslied Take A Shot oder dem beinah balladenhaften Dead Eye, worin Stockham und Lopez den Tod eines Freundes zwar eher anteilnahmslos zu besingen scheinen, übers unbeirrbare Stakkato der Rhythmusinstrumente hinweg allerdings eine fast ergreifende Aura legen, bevor sie in You Don’t Belong wieder das Brett vom Anfang auspacken und dampframmend aufs Gaspedal treten.
Erst gemeinsam werden diese zwei Komponenten des leicht angestaubten Klebstoffs namens Industrial wieder zeitgemäß. Anwendbar auch auf moderne Hörgewohnheiten. Für alle, denen viervierteltaktiges Wellblechgehämmer als Statement gegen die Verkarstung des Gemüts im Ameisenstaat der Leistungsgesellschaft nicht mehr ausreicht. Das gibt’s auch, keine Sorge. Es scheppert und kracht und wütet in einer Tour. Weit hinterm brachialen Anstrich steckt allerdings eine Filigranität, die immer wieder zwischen die Zeilen spielt und im Kopf bleibt. Bevor er wieder aufgehoben wird. Das passiert dann doch öfter.
„Pick Up Your Head“ von Middle Class Rut ist erschienen bei Bright Antenna.