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Hört diesem Phantasten zu!

 

In Frankreich füllt Matthieu Chedid jedes Stadion. Auch hierzulande hat seine eigenwillige Mischung aus Glamrock, Metal-Swing und Big Beat eine große Fangemeinde verdient.

© LOIC VENANCE/AFP/Getty Images
© LOIC VENANCE/AFP/Getty Images

Französische Musik umweht eine Menge Magie: das traumwandlerisch Getragene alter Chansonniers und das zeitgenössisch Beschwingte ihrer jungen Epigonen, die subkutane Popgeste bei Phoenix oder die überdehnte Popgeste Daft Punks, all die bezaubernden, schwelgerischen, stilsicheren Varianten nonchalanter Lässigkeit, die selbst Punk, Rock oder Techno ihren frankophonen Stempel aufgedrückt haben. Das sorgt auch weit über die Landesgrenzen hinaus bereits eine halbe Musikewigkeit für globale Verzückung.

Für bezaubernden, schwelgerischen, stilsicheren Wahnsinn jedoch war das Liedgut westlich des Rheins bisher eher weniger berühmt – so sehr sich Matthieu Chedid auch ums Gegenteil bemüht.

Unterm Pseudonym -M- bringt der Gitarrenberserker mit einer Mixtur aus orchestralem Glamrock, schlagereskem Metal-Swing und analogem LoFi-Big-Beat schließlich seit vielen Jahren, fünf Alben und diversen Korporationen jede noch so große Mehrzweckhalle, ja ganze Stadien seiner Heimat zum Kochen. In Deutschland allerdings gelingt ihm das bestenfalls vor ausgesuchten Kennern in großstädtischen Szeneclubs. Es wird also Zeit für einen eindringlichen Appell, fast eine Proklamation: Hört diesem Triebtäter des Pop zu! Er hat vielleicht nicht viel zu sagen, aber ungeheuer viel zu geben.

Mit einer Instrumentierung jenseits tradierter Harmonieregeln kann dieser theatralische Phantast selbst auf Tonträger gebannt ein Feuer entfachen, das manch gewaltige Bühnenshow leicht in den Schatten stellt. Seine Stimme zum Falsett verdünnt, brüllt er absurde Texte über seltsame Tiere, noch seltsamere Menschen und ihrer aller allerseltsamstes Gebaren durch eine Wand aus jedem Klangmuster, das die Welt musikalisch bereithält und formt daraus furiosen Zirkuspop. Diesmal sogar ergänzt um digitale Spielereien.

Etwas elektronischer als zuletzt, setzt es also auch auf dem sechsten Album Îl, das daheim bereits voriges Jahr die Charts stürmte, von barockem Psychobeat wie in Elle über Flamencopunk à la Baïa oder extrem reduziertes Neochanson (Laisser Aller) bis hin zu Faites-Moi Souffrir, wo ein Elefant zur dreiminütigen Attacke auf slappenden Rock’n’Roll, finger-schnippendes Easy Listening samt schreienden Gitarrensoli bläst, ein Panoptikum des musikalischen Aberwitzes. Und der findet in der wunderbaren Single Mojo auch seine optische Entsprechung: Das zugehörige Video zeigt, welch mephistolischer Irrsinn im kleinen Mann aus dem Großraum Paris brodelt.

So fügt -M- dem ohnehin breiten Kanon französischer Kreativität mit seinen gut 40 Lebensjahren fast ein eigenes Genre hinzu. Kein Wunder, dass sich die Großen der dortigen Branche – von Vanessa Paradis über Johnny Halliday bis Philippe Zdar – dieser selbsternannten Rampensau bereits für gemeinsame Projekte bedient haben oder wie das DJ-Quartett C2C für eigenständige Remixes. Da, wo Musik naturgemäß Grenzen überschreitet, ist Chedid schließlich längst das, was ihm auch hierzulande so gebühren würde wie zuletzt Zaz: ein Superstar.

„Îl“ von -M- ist erschienen bei Le Pop.