Nur die Songs von Erdmöbel bringen Speisebrei, Hauhechelbläulinge und Erkenschwick zusammen. Grandiose Arrangements, herrliche Texte über wichtige Nichtigkeiten, auch auf dem neunten Album.
Beginnen wir ausnahmsweise damit, was bei der Rezeption der allseits beliebten Popgruppe Erdmöbel fast immer und unverdientermaßen erst zum Schluss kommt. Beginnen wir also anlässlich des neuen Albums Kung Fu Fighting ausnahmsweise mal mit der Musik.
Ja, denn die ist ganz wundervoll geworden. Wieder mal. Schon im Eröffnungsstück Blinker scheint die aus Münster stammende, aber mittlerweile in Köln lebende Band abzuheben, wird aber von einem herumfabulierenden Bass wieder geerdet. In späteren Songs schleichen die Rhythmen geschmeidig und zugleich kraftvoll federnd wie einst der Tiger von Eschnapur daher, garniert von einer E-Orgel, die gar nicht nach Seniorentanz klingt, sondern so selbstverständlich schwebt wie ein junges Ding. Frisch verliebt wirken selbst die Posaunen, wenn sie sich in aller gebotenen Würde im Magen des Hörers zur Ruhe legen, und Flöten schmiegen sich verführerisch ans melancholisch gestimmte Gemüt.
Man hört es, man denkt: wie wundervoll. Und der Kritiker fragt sich: Was ist das eigentlich? Chanson irgendwie schon, aber dann fehlt doch der ehrlich gemeinte Hang zum Kitsch. Easy Listening auch, aber eben nur zeitweise. Auch Latin-Pop klingt immer wieder an, ebenso wie der gute alte Nachkriegsschlager, auch Soul und die Sixties, aber alles bestenfalls in Spurenelementen. Nein, die Schublade, in die man Erdmöbel sperren könnte, die ist noch nicht erfunden. Und selbst wenn sie erfunden werden würde: Erdmöbel, so elegant und biegsam wie sie sind, würden einfach wieder entwischen aus der blöden Kiste.
Vielleicht liegt es an dieser Schwerfassbarkeit, dass die Musik immer nur die zweite Geige geben darf, wenn es um Erdmöbel geht. Dass die grandiosen Arrangements, die der musikalische Kopf und Multiinstrumentalist Ekki Maas verantwortet, nicht angemessen gewürdigt werden. Der Hauptgrund sind aber natürlich die Lieder, die in diese Arrangements verpackt sind, geschrieben von dem Sänger und Texter Markus Berges.
Der hat, wie man es von ihm kennt, erneut tief hinein gegriffen in den Fundus der Wörter, die man in einem Popsong nicht unbedingt erwarten würde. So wunderschöne, vollkommen zu Unrecht verschmähte Wörter wie Speisebrei, Schlüsselbund, Zahnspange, GBR-Funktionshosen, Hauhechelbläuling oder Goldgeist Forte. Und dann, das ist fast so etwas wie ein Treppenwitz im Laufe der neun Alben, die Erdmöbel in 18 Jahren nun herausgebracht haben, findet Berges immer Ort- oder Ländernamen, die unbedingt mal gesungen werden sollten: Diesmal wird neben anderen Emsdetten und Erkenschwick diese Ehre zuteil.
In diesen Orten siedelt Berges seine Geschichten an, die sehr kunstvoll von alltäglichen Nichtigkeiten erzählen und niemals gefühlig von den großen Emotionen. Da schmatzt ein Gegenüber wie ein Gnu, Schmerz wird in Kästen geliefert und der Gimlet mit dem Eispickel umgerührt. Berges ist stets eher Autor als Autobiograf. Niemals läuft er Gefahr, in den eigenen Befindlichkeiten zu versinken, wie die meisten seiner deutschen Sängerkollegen. Statt sich an der eigenen Betroffenheit zu besaufen, ergötzt er sich an der Sprache, an Reimen und ihrem Rhythmus. Denn die Stimme, das ist bei Erdmöbel wichtiger als man denkt, ist eben auch nur ein Instrument.
„Kung Fu Fighting“ von Erdmöbel ist erschienen auf Jippie!/Rough Trade.