Gäbe es zu diesem Album einen Film, er müsste wohl „Oh Girl“ heißen. Warpaint aus Los Angeles trotzen den falschen Versprechungen der Moderne ganz beeindruckende Folkpopsong ab.
Die Suche nach dem passenden Soundtrack ist gemeinhin eine Gratwanderung. Fast jeder geigenverkleisterte Blockbuster zeugt davon, wie sie misslingen kann, während die aufdringliche Stille gediegener Problemfilme oft genug belegt, dass weniger doch nicht zwangsläufig mehr ist. Manchmal allerdings klingen Töne wie gemacht für laufende Bilder – selbst, wenn die gar nicht zu ihnen gehören.
Warpaint zum Beispiel, das neue Album der gleichnamigen Band aus Los Angeles, hört sich an, als sei es die ideale Begleitmusik zu Lena Dunhams New Yorker Twentysomethingserie Girls oder auch Frances Ha, dem grandiosen Prekariatsporträt Gleichaltriger an gleicher Stelle.
Wie der träumerisch-verspielte Indiepop darin durch die Gefühle der nachwachsenden Großstadtboheme mäandert, wie es die Melancholie der multioptionalen Ziellosigkeit junger Leute zwischen Ausbildung, Praktika und Arbeitslosigkeit mit ätherischer Schwerelosigkeit vertont – das wirkt wie ein Gegenentwurf zum mal traurigen, mal euphorischen Begleittakt der Leistungsgesellschaft. Es ist Klang gewordener Optimismus ohne Chancen. Und es ist wirklich schön.
Love Is To Die zum Beispiel (siehe Video weiter unten), nicht das beste, aber ein emblematisches Stück der zweiten Platte: Wie ein scheues Requiem auf all die Versprechungen der Moderne gräbt es sich in die Ohren der Zielgruppe, ruft allerdings mit trotzigen Trommeln zum Weitermachen und Verweigern zugleich auf. Stella Mozgawas artifizielles Keyboard gibt diesem Widerspruch darin zu Beginn etwas Depechemodehaftes, Newnewwaviges, Tiefgründiges. Emily Kokals Gesang fügt dem sodann die harmonische Dissonanz schiefer Töne zur richtigen Zeit hinzu. Und Jenny Lee Lindbergs Gitarre zwischendrin holt aus dem Trübsinn von The XX, deren Vorband Warpaint einst gab, exakt so viel Schwermut heraus, um nicht allzu leichtfüßig zu klingen, aber doch fernab aller Euphorieschübe.
Gäbe es also noch einen Film, dem die elf – verglichen mit dem erfolgreichen Debüt vor drei Jahren – helleren, nicht aber leuchtenden Stücke wie aufs Drehbuch produziert erscheinen, dann wäre es Jan-Ole Gersters schwarzweiße Berlin-Studie Oh Boy. Noch so ein urbanes Epos übers elegante Scheitern der Generation Facebook(verweigerer), vor allem das männliche.
Gäbe es eines namens Oh Girl, könnte man also den Diskurs eröffnen, ob die vierfach weibliche Besetzung von Warpaint eine Vertonung spezifisch weiblicher Lebenswelten hervorbringt, ob das Geschlecht an sich eine andere Bühnenpräsenz erzeugt, eine andere Musik, ob der furchtbare Bandname womöglich Statement gegen all die Macker an gleicher Stelle ist. Das aber führt in die falsche Richtung.
Warpaint mögen frei von Y-Chromosomen sein – ihr Werk ist bis auf die Stimmen geschlechtslos, ja es unterläuft nicht mal das maskulin konnotierte Abfeiern instrumenteller Virtuosität. Warpaint, die Zweite, ist oft vertrackter Psychofolkpop für, um, über die großstädtische Mittelschicht und erzählt emotionale Geschichten der Menschen darin. So flüchtig und feenhaft es daherkommt: Wahrhaftiger klang Folkpop selten.
Warpaint ist erschienen bei Beggars.