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Ezra hat den Erasmus-Blues

 

Das Schlimmste, was passieren kann, ist ein verpasster Zug: Der Brite George Ezra liefert die Tonspur zum Fernweh von Europas Jugend. Leider ist er weniger Wort- als Touristenführer.

© Sony
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George Ezra macht gerade Karriere, weil er vor zwei Jahren einen Zug verpasst hat. Die Legende des heute 21-jährigen Songwriters aus dem englischen Hertford besagt, dass er unterwegs war von Malmö nach Budapest, sich in Schweden aber so viel Bier reinstellte, dass er am nächsten Morgen die Abfahrt verschlief.Ezra schrieb dann einen niedlichen Popsong über all die Dinge, die einem durch die Finger flutschen. Er nannte ihn Budapest und landete einen Top-10-Hit in sieben europäischen Ländern.

Seitdem flutscht Ezra kaum noch etwas durch die Finger. Ein Majorlabel nahm ihn unter Vertrag, die BBC setzte ihn auf ihre diesjährige Hotlist. Lady Gagas Presseagent soll die Karriere mit anschieben, selbst die Harry-Potter-Narbe im markanten Wangenknochengesicht kommt wie gerufen. Ezras Debütalbum heißt Wanted On Voyage und schlachtet die Fernwehgefühle von Budapest auf LP-Länge aus. Wäre er nicht von selbst zur Musik gekommen, Lonely Planet hätte ihn erfinden müssen.

Ezra hat eine tiefe, kehlige Stimme, klingt aber nicht nach dem frühreifen Bluessänger, als den ihn Teile der Musikpresse bereits beschwören. Seinen Liedern hängt etwas Jungenhaftes, Unbedarftes an – vermutlich, weil sie im Strophentakt daran erinnern, dass es Ezra um jungenhafte Protagonisten mit entsprechenden Problemen geht. Tiefsitzenden Schmerz strahlt er nie aus, wahre Unausweichlichkeit will nicht aufkommen. Wanted On Voyage ist also das Gegenteil von Blues. Ein verpasster Zug ist wirklich schon das Schlimmste, was einem damit passieren kann.

Seine Songs passt Ezra diesen Begebenheiten an. Bob Dylan und Woody Guthrie sind die erklärten Vorbilder, der brave Folk-Pop auf seinem Debütalbum erinnert jedoch eher an Jake Bugg im Schienenersatzverkehr. Wagen sich Ezra und sein Produzent Cam Blackwood (Florence And The Machine, Paolo Nutini, London Grammar) mal an ein Experiment heran, führt das zu Folk-Pop, der unbehaglich mit Hip-Hop-Beats hantiert. Wie schlitzohrig man solche Verbindungen herstellen kann, hat im vergangenen Jahr King Krule gezeigt. Gegen den ebenfalls blutjungen Londoner hat Ezra selbst im Wangenknochenvergleich keine Chance.

Was also macht ihn zum Mann der Stunde? Es steht zu befürchten, dass Ezra mit seiner Reiseromantik vielen Backpackern, Austauschstudierenden und Realitätsflüchtigen aus der Seele spricht. Seine Lieder beschreiben die Erlebniswelt eines typischen Erasmusjahrs. Sie vervollständigen die Geschichten von Selbstfindung, Saufgelagen und flüchtigen Bettbekanntschaften, die sich in der Realität vielleicht doch nicht immer so einfach verwirklichen lassen.

Mit diesem Ansatz hat es Ezra inzwischen auch nach Budapest geschafft. Ende Mai schickte ihn seine Plattenfirma auf eine von Fans und Journalisten begleitete Zugreise, die aus England über diverse Umwege in die ungarische Hauptstadt führte. Dort sang George Ezra wieder davon, sein Herz in die Hand zu nehmen, das Heimatnest zu verlassen und sich umzugucken, soweit der Reisepass ihn trägt. Und es spielte keine Rolle dabei, dass die Städtenamen in seinen Songs ebenso willkürlich nebeneinanderstehen wie auf einer Einkaufstüte von American Apparel.

„Wanted On Voyage“ von George Ezra ist erschienen bei Columbia/Sony Music.