Von Sébastien Tellier lässt man sich allzu gern sedieren. Die watteweichen Popsongs auf seinem neuen Album „L’Aventura“ entführen den Hörer in den brasilianischen Dschungel.
Wer sich einlullen lässt, wird für gewöhnlich mit Langeweile sediert, der Schwere des schlichten Gedankens. Diesem gleichförmigen Trott des Banalen zu entkommen, gelingt daher nur mit größter Mühe. Sofern man das denn überhaupt will. Bei Sébastien Tellier will man eher nicht. Sein frankophoner Wattepop lullt das Auditorium zwar fast bis zur Besinnungslosigkeit ein. Doch liebt es ihn zu Recht dafür.
L’Aventura heißt Telliers neue, die achte Platte. Und auch auf ihr pflanzt der exaltierte Zausel ein Klanglabyrinth, das bestenfalls hüfthoch ist, also keinesfalls unentrinnbar. Vom querflötengarnierten Easy Listening Love bis zum geigenumflorten Neochanson L’Enfant Vert verfängt man sich allerdings zehn Stücke lang so in verschrobenen Gespinsten, dass man freiwillig darin gefangen bleibt – so schön sind sie, so betörend.
Dabei ist L’Aventura das, was viele Musikgourmets gleich mal auf dem Absatz kehrt machen ließe: ein Konzeptalbum. Nach ganzscheibigen Beschäftigungen mit so verschiedenen Themenkomplexen wie Politik (2004), dem Universum (2006) oder Sex widmet sich der Enddreißiger diesmal dem brasilianischen Dschungel in all seiner undurchdringlichen Virilität. Mit viel technischem Gerät und noch mehr Fantasie synthetisiert er die Geräusche, Stimmungen, Trugbilder des Urwaldes und kombiniert sie mit den Mechanismen des Pop zu kleinen Universen geschmeidiger Sphärenbegegnung.
Klingt esoterisch, entrückt, nach Enya und Ethno? Weit gefehlt. L’Aventura wirkt eher wie ein verspielter Versuch, Ordnung in die Unordnung verwirrender Impressionen aus diversen Tonquellen dieser Welt zu bringen und sie sachte durchzuschütteln wie einen exotischen Cocktail. Das bringt dann Liedkaskaden wie das retropoppige Sous les rayons du soleil hervor, das streicherbeladene Comment revoir Oursinet? oder das calypsohafte Ambiance Rio – Stücke, die auch dank Telliers schnurrender Verführerstimme scheinbar derselben Sinfonie entstammen, darunter aber eine Vielschichtigkeit verstecken, die zu entdecken einer Abenteuerreise mit Machete und Schmetterlingsnetz gleichkommt.
Sébastien Telliers eigentliche Fertigkeit, fast eine eigene Kunstform, liegt allerdings anderswo. Begleitet von analogen Instrumenten wie Saxofon, Bass, zuweilen zappeligem Schlagzeug, gibt sein digitaler Sound unablässig Rätsel auf, was der Weg ist und was das Ziel. Beides hat bloß am Rande mit Chansons zu tun, so viel zumindest wird klar. Gewiss, Tellier bedient sich der Aura des Chansons, einiger Harmonien, seiner Schwingungen. Im Kern aber bleibt er doch dem Weltklang verhaftet.
So wandert er wie ein Kind durch die Irrgärten im Dschungel seiner musikalischen Fantasie und nimmt uns mit auf eine Reise. Sie kann viele Stunden dauern. Bis der Nachbar fragt, ob es nicht mal Zeit sei für ’ne neue Platte. Antwort: noch nicht.
„L’Aventura“ von Sébastien Tellier ist erschienen bei Record Makers.