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Kreuzberger Nächte sind weich

 

Coldplay-Wehmut für Stadionhasser: Fin Greenall alias Fink ist nach Berlin gezogen. Anstatt sich der rauen Stadt anzupassen, werden seine Folksongs immer plüschiger.

© Tommy N Lance
© Tommy N Lance

Fin Greenall lebt jetzt in Berlin. In Kreuzberg offensichtlich. Denn auf seinem Blog postete der Brite Fotos mit dem Blick aus seinem Schlafzimmerfenster auf die Oranienstraße am 1. Mai. Menschenmassen wälzen sich durch die Häuserschlucht, Rauch hängt über der Szenerie, die alljährlichen Maifestspiele sind schon im Gange, aber noch friedlich. Er habe ein wenig Angst, dass er später nicht mehr in seine Wohnung kommt, berichtet Greenall, und dass er an diesem Tag geweckt wurde von fünf Soundsystems, die gleichzeitig loslegten. Berliner Freunde hätten ihm von den Straßenschlachten aus den frühen, seligen Zeiten erzählt. Mit großen Augen registriert er das „gewaltige Polizeiaufkommen“ und die „angry punk dudes„, die sich vor der Bühne sammeln, auf der Punkbands auftreten. „Ironischerweise“, schreibt Grenall, „musste ich an diesem Tag zwei unglaublich ruhige und weiche Folk-Tracks produzieren“.

Ja, so ist er der Musiker, der sich Fink nennt. Eine Revolution ist mit ihm jedenfalls nicht loszutreten. Hört man Hard Believer, sein neues Album, wird man den Eindruck nicht los, der 1972 geborene Engländer könnte zwar niemals eine Barrikade errichten, aber, täte es Not, die ganze Welt umarmen.

Sein sechstes Album ist das erste seit 2011, die Pause hat Greenall vor allem als Komponist für Film und Fernsehen verbracht, darunter auch Hollywood-Produktionen wie 12 Years A Slave. Womöglich ist ja die Arbeit für Mainstream-Medien verantwortlich für den neuen Populismus, der sich auf Hard Believer Bahn bricht. Kaum ein Song, mit dem man nicht sofort kuscheln möchte.

Diese plüschige Atmosphäre geht auch dann nicht verloren, wenn mal wie in Shakespeare die Gitarren etwas lauter werden, Greenall im Titelsong fast so singt wie der besessene Prediger David Eugene Edwards von 16 Horsepower oder er in White Flag seinem Hang zum Dub nachgibt. Nein, egal, wie das Tempo ist oder ob die Verstärker aufgedreht werden, ob die Elektronik knuspert, akustische Instrumente knacksen oder das Lagerfeuer knistert: Stets verbreitet sich ein allgemeines Wohlgefühl.

Two Days Later wirft gar die Frage auf, warum Gwyneth Paltrow ihren Gatten Chris Martin nicht schon früher verlassen hat, um zu Greenall in die Kreuzberger Altbaubude zu ziehen. Sehen wir der melancholischen Wahrheit ins Auge: Fink, dieses bislang so gut gehütete Geheimnis, macht neuerdings Coldplay vehement Konkurrenz. Auch andere Songs wie Truth Begins, Too Late oder Green And Blue klingen wie eine frühe Version des Trübsalblasens, mit dem Coldplay heute Stadien füllen.

Weil sie aber abgespeckte, reduzierte, trotzdem intensivere Entwürfe des notorischen Erfolgsmodells darstellen, sind sie nicht nur wahrhaftiger, sondern auch entschieden sympathischer als die orchestralen Aufgeblähtheiten, die Martin zum Multimillionär gemacht haben. Fink, da darf man sicher sein, wird nicht nur von alten grimmigen Punkrockern, sondern auch von manchen seiner altgedienten Fans für Hard Believer ein bisschen Haue kriegen. Alle anderen sind dankbar, dass er etwas erfunden hat, das man gut gebrauchen kann, bis die Revolution endlich kommt: abgespeckter Schmuserock für abgekämpfte Revoluzzer.

„Hard Believer“ von Fink ist erschienen bei R’Coup’D/Ninja Tune/Rough Trade.