Seit zehn Jahren werden The Gaslight Anthem für ihre rohe Empfindsamkeit gefeiert. Langsam werden sie sanfter, wie das neue Album Get Hurt zeigt. Spielen sie bald Country?
Die vielleicht ausdrucksstärksten Textzeilen zeitgemäßer Popmusik zum Alterswerk verdienter Rockmusiker stammen vermutlich von zwei deutschen Kunstkollektiven: Männer, betitelten die grandiosen Fishmob vor vielen Jahren eine frühe Platte, können seine Gefühle nicht zeigen.
Und falls doch, ließe sich mit den kaum weniger famosen Aeronauten hinzufügen, fangen sie „mit dem Alter“ an, „sich für Country zu interessieren“.
Die ebenfalls wirklich ganz und gar wunderbaren The Gaslight Anthem liefern dazu These und Antithese zugleich. Was das amerikanische Emorock-Quartett aus dem Ostküstenstädtchen New Brunswick seit zehn Jahren zu Gehör bringt, ist schließlich von so selbstentblößender Emotionalität, dass Männern ihre Gefühle schon wieder zu den Ohren rauskommen könnten. Davon zeugt nicht zuletzt der Name des sechsten Albums: Get Hurt. Andererseits kommt im gefühligen Rock’n’Roll des charismatischen Sängers und Gitarristen Brian Fallon mittlerweile ein Americana-Sound zum Tragen, dass es zu echtem Country, also der testosterongesättigtsten Musik jenseits von Death Metal, nicht mehr allzu weit sein kann.
Wie nah er wirklich ist, zeigen Stücke wie Underneath The Ground. Hier scheint allen Ernstes eine Steelguitar in den Westcoast-Indie hinein zu suppen. Im springsteenesk betitelten Rollin‘ And Tumblin‘ kurz darauf erklingt sie tatsächlich, bis sich die Ballade Break Your Heart zum Ende hin am Lagerfeuer niederlässt. Das war auf den Alben zuvor schon etwas anders. Da schepperte noch mehr vom rustikalen Alternative, geboren aus der Punkwiege seiner Protagonisten. Da war der Rock einfach noch härter als heute. Jetzt klingen The Gaslight Anthem zuweilen ein wenig versöhnlich, als mache da einer unterm Sternenhimmel der Prärie seinen Frieden mit der wilden Vergangenheit.
Doch keine Sorge: Auch auf Get Hurt wird noch gehörig in die unverzerrte Klampfe gedroschen. Gleich zu Beginn nagelt Fallon die Böse-Jungs-Parole Stay Vicious über Alex Rosamilias Black-Sabbath-Gedenk-Riff. Allerorten knattern rabiate Tonfolgen unter die Liebesbekundungen mit dem Kernwort You, das geschätzte 2759 Mal durch die textreichen Songs fegt. Die neue, alte ostamerikanische Härte geht sogar soweit, dass der Hörer sich kurz fürs Prollorockgehabe in Stray Paper fremdschämt, das schmerzhaft an John Farnham erinnert. Insgesamt aber bleiben The Gaslight Anthem, was sie seit 2007 sind: eine verlässliche, überaus empathische Rockband, deren Empfindsamkeit nie aufgesetzt, sondern verinnerlicht daherkommt. Mit einer Art rückwärtsgewandter Analogie im Sound, die stilsicher statt nostalgisch wirkt.
Damit haben sich die fünf Jugendfreunde eine solide Basis anspruchsvoller Fans geschaffen, die sich über Get Hurt freuen wird. Ihre Gefühle werden diese Männer also auch weiterhin zeigen. Bis zum ersten echten Country-Album werden sich The Gaslight Anthem höchstens noch vier, fünf Jahre Zeit lassen. Aber dann kommt es. Und wahrscheinlich wird es nicht das schlechteste.
„Get Hurt“ von Gaslight Anthem ist erschienen bei Universal.