Chicks on Speed wollten immer elektroschrottigen Kunstpop machen. Auf ihrem siebten Album verlassen sie sich auf Julian Assange und Yoko Ono. Wirkungsvoller wird es dadurch nicht.
Es geht wie immer um den Ofen, in diesem Fall um den umweltverträglich pelletbefeuerten im Wohnzimmer des Reihenhauses, in dem das Bauhaus-Sofa einen waschbaren Bezug hat und die Kunstdrucke an der Wand von Etsy kommen.
Hinter diesem Ofen müssen Chicks On Speed 2014 ihre Hörer aufspüren, hervorlocken und dann eigentlich auch noch agitieren. Aber langsam.
Seit Alex Murray-Leslie und Melissa Logan ihr Projekt 1997 zwischen zwei Veranstaltungen an der Münchner Akademie der Künste ins Leben riefen, ging es ihnen immer darum, die Grenzen der Kunst möglichst kunstvoll zu sprengen und das so laut und grell und meinungsstark, dass es hoffentlich auch ein paar Leute außerhalb mitbekommen. Die Musik war dabei immer nur Teil einer umfassenden Performance, die sie mit Hilfe von knallbuten Kostümen und Aktionen voller selbst erfundener Requisiten in die Kunststätten von MoMA bis Centre Pompidou brachten. Und manchmal landeten Songs wie We Don’t Play Guitars sogar in den ganz normalen Clubs.
Wohin Chicks On Speed mit ihrem siebten Album Artstravaganza nun wollen, ist nicht ganz klar. Digital und analog gleichzeitig soll es jedenfalls sein, was gut passt, weil die politisierten Clubber von einst heute eher mit dem iPad am Feuer sitzen. Sechs Apps gibt es zum Album, mit denen man an den Instrumenten der Songs herumspielen kann, wenn die Kinder im Bett sind und die nächste Game-Of-Thrones-Folge noch lädt. Das hat sich das Jahrtausendwende-Prekariat wohl auch anders vorgestellt, bevor es sich aufteilte in moderne Spießer und sonstwie tot, aber da müssen wir jetzt alle durch, zur Not mit dem gleichen clashig-trashigen Elektropop-Plastikhammer wie immer.
Und so dreschen Chicks On Speed fast 80 Minuten lang Kunststoffinstrumente in funky Rhythmen kaputt, mischen gesprochene Passagen und wimmernde Alienteile dazwischen, um damit ein Statement zu setzen über Schnittstellen-Utopien und Daten und Aktivismus.
Interessant ist das, solange man Kunst mit einer Ehrfurcht versteht, die lieber nicht zu viel kapiert und sich schon gar nicht beteiligen will, wenn Durchgeknallte Haie in Formaldehyd einmachen oder Blut an Wände spritzen, die nicht die eigenen sind. Mag sein, dass es irgendwo irgendwen tatsächlich berührt, wenn etwa der Song God knapp sieben Minuten lang Ausschnitte aus einem Interview mit dem Wikileaks-Verräter Julian Assange mit wabernder, knacksender Elektronik unterlegt; mit akuter Aufruhr hat das aber so wenig zu tun wie mit kreativem Einmischen. Und auch die anderen Gastauftritte – von Francesca von Habsburg bis Yoko Ono – dürften niemanden aus den Birkenstocks hauen.
Immerhin schaffen es Murray-Leslie und Logan mit Ausnahmesongs wie Wir sind Daten und Love Bites zwischendurch doch noch, smarte Zukunftsvisionen in tanzbare Popmusik mit ironisch süßen Barbie-Refrains zu verpacken, die man zur Riot-Grrrl-Party so gut mitnehmen kann wie zum Sechs-Uhr-morgens-Joggen durchs Neubaugebiet. Solange die Nachbarn nicht gucken, kann man dazu sogar die Luft boxen.
„Artstravaganza“ von Chicks On Speed erscheint bei Chicks On Speed Records.