Über die Jahre (50): Journey aus San Francisco waren Anfang der Achtziger die Könige der Powerballade. Auf „Escape“ ließen sie 1981 Superhits erdröhnen, die diese Bezeichnung noch verdienten
In den achtziger Jahren wurde es der Rockmusik zu eng. Es war kein Platz mehr für all die Gitarrenwände und Keyboardburgen, die Bands wie Styx, Boston und Foreigner errichteten. Also zog der Rock in die Arenen, das Publikum wurde fortan mit Nebelmaschinen und Lasereffekten überwältigt. Intime Gefühligkeiten kamen bei den zehntausenden versammelten Fans natürlich nur noch an, wenn man sie gaaaanz laut drehte: Die Powerballade musste her! Die Könige der Powerballade hießen Journey und kamen aus San Francisco, ihre Lieder verströmten große Gefühle bei Kerzenschein wie bei Flutlicht. Vor allem auf ihrem Erfolgsalbum Escape aus dem Jahr 1981 waren Superhits zu hören, die diese Bezeichnung noch verdienten.
Die ersten zehn Sekunden des Albums und des Stücks Don’t Stop Believin‘ sind furios wie ansonsten allenfalls Van Halens Jump. In deren Windschatten segelten Journey lange – wohl, weil ihnen eine gewisse Langweiligkeit anhaftete. Gegen die sportive Frivolität von David Lee Roth bleib Journeys Sänger Steve Perry blass. Roth ironisierte die Macho-Gesten des Rock – Perry war das Ballen der Fäuste und das dramatische Haareschütteln Ausdruck echter Leidenschaft. Er war zwar der bessere Sänger, doch gegen die glamouröse Diva bei Van Halen wirkte Perry wie ein braver Heizungsmonteur.
Während sich Van Halen auch immer als Showband inszenierten, pflegten Journey ihren Ruf als ehrliche Rocker in Röhrenjeans. Dazu gehörte auch eine gewisse musikalische Zurückhaltung: Schwindelerregende Gitarrenabfahrten hörte man bei ihnen nur selten. Der Gitarrist Neil Schon leistete es sich gar, etwa bei Who’s Crying Now, nur das Notwendigste zu spielen. Entscheidend war die emotionale Aufladung jeder einzelnen Note.
Überhaupt gelangen Journey mit Escape Bombast-Rock von erstaunlicher emotionaler Tiefe. Wenn Steve Perry von jugendlicher Einsamkeit, zerrütteten Familienverhältnissen und gescheiterten Beziehungen sang, klang das glaubwürdig. Gigantische Arrangements und Ernsthaftigkeit schlossen sich nicht aus. Natürlich findet sich auch auf Escape der herrliche Schmelz des Arena-Rocks: „Still they ride / on wheels of fire“ – bei Journey qualmten die Reifen die ganze Nacht über. Und die Nächte waren selbstverständlich immer crazy oder hot.
In ihren besten Momenten erzählt die Platte vom Ende der jugendlichen Sorglosigkeit. Plötzlich erscheint die Stadt zu klein, auch wenn der Schnurrbart noch nicht richtig wachsen will. Also, hinaus aus dem Kinderzimmer, hinein in die Nacht. Rennen, flüchten, abhauen – Hauptsache, weg hier! Und am Ende wartete die große Power-Ballade mit offenen Armen: „But now that you’ve come back / Turned night into day / I need you to stay.“ Diese Gebrauchslyrik war immerhin ernst gemeint.
Auch grafisch waren Journey in einem anderen Universum unterwegs: Raumschiffe und fantastische Adler zierten ihre Plattenhüllen. Während der andere Schutzpatron der Ausreißer, Bruce Springsteen, in seiner Garage den alten Chevy lackierte, waren Journey schon beim Airbrush angekommen.
Einige Jahre nach Escape verließ Steve Perry die Band. Selbst die heißesten Reifen kühlen irgendwann mal ab.
„Escape“ von Journey ist im Jahr 1981 bei Columbia erschienen.
…
Eine vollständige Liste der bisher in der Rubrik ÜBER DIE JAHRE besprochenen Platten finden Sie hier.
Weitere Beiträge aus der Kategorie ROCK
Franz Ferdinand: „Tonight“ (Domino Records/Indigo 2009)
The Shaky Hands: „Lunglight“ (Cooperative/Universal 2008)
The Killers: „Day & Age“ (Island/Universal 2008)
Guns N‘ Roses: „Chinese Democracy“ (Geffen/Universal 2008)
Bloc Party: „Intimacy“ (Cooperative/Universal)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik