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Letzte Nachricht von Johnny

 

Vor sechs Jahren starb Johnny Cash, er hinterließ der Welt seine „American Recordings“. Nun wird der zehnte Teil der Reihe veröffentlicht. Hoffentlich der allerletzte.

© Universal Records

Jetzt melken sie ihn. Heute feierte Johnny Cash seinen 78. Geburtstag, wenn, ja, wenn er nicht vor sechs Jahren mit der Akustischen im Arm entschlafen wäre. In Nashville, Tennessee, wo sonst. Ruhen darf er noch nicht, für ein halbes Stündchen muss er noch mal ran.

Seine allerletzte Platte war kurz nach seinem Tod erschienen, A Hundred Highways. Ein Dutzend Lieder schallten da aus dem Grab – unter anderem Like The 309, das letzte von Johnny Cash geschriebene Stück. Doch was kommt nach dem allerletzten Album? Richtig, das allerallerletzte.

Ain’t No Grave heißt es, im Titellied wird deutlich, weshalb. Kein Grab könne seinen Körper festhalten, singt Johnny Cash. Ein seltsamer Titel. Und eine seltsame Hülle obendrein, ein ohrenbetontes Bild des Kindes J. R. Cash. So, als müsse diese wechselvolle Karriere dort enden, wo sie begann?

Die Karriere: Vom Elektrogerätevertreter mit Militärrang zum tablettenabhängiger Superstar. Cash war Sozialromantiker, er spielte in berüchtigten Gefängnissen und trat irgendwann nur noch in Schwarz auf. Und als seine Karriere in den frühen Neunzigern schon beendet schien, da trieb es ihn in die Arme von Rick Rubin. Einem Kauz, der eigentlich HipHop und Metal produziert – und der dennoch an Johnny Cash seine Meisterprüfung ablegte.

An die 150 Lieder haben sie zusammen aufgenommen und auf jetzt zehn Platten veröffentlicht, auf den sogenannten American Recordings, sechs reguläre Alben und eine Kiste mit vier weiteren.

Und die zehnte klingt wie die neun zuvor: Spärlich instrumentierte Lieder, viel Gitarre, hier und da eine Orgel und ein Klavier. Darüber schwingt Cashs zerbrechlicher Bassbariton, zerbrechlich längst wie feinstes chinesisches Porzellan. Durchscheinend und zart, und doch nie dünn, nie Stimmchen.

Er singt kaum Selbstgeschriebenes, manches Traditional, einige Coverversionen alter Countrystücke – und auch wieder ein Poplied. Vieles ist Mittelmaß, manches wahrlich großartig: Tom Paxtons Can’t Help But Wonder Where I’m Bound etwa, und auch Sheryl Crows Redemption Day. Nicht jedes Lied auf Ain’t No Grave ist wirklich gut gewählt, da wirkten vor allem die letzten beiden Alben The Man Comes Around und A Hundred Highways schlüssiger, stimmiger. Naja, es sind eben die Reste.

Es ist Johnny Cash anzuhören, dass er nicht mehr viele Zeilen am Stück singen konnte. Von einer Strophe zur nächsten verändert sich die Stimme vollkommen, als habe Rick Rubin schließlich mehrere Aufnahmen zusammengeschnitten. Ein heiseres Zittern zu Beginn von Redemption Day, dann tieftraurig und zögernd. Und schließlich fest und überzeugend.

Alle Lieder auf Ain’t No Grave handeln vom Tod. Jede Metapher des Abschieds wird angesungen, brennende Brücken, anfahrende Züge, sichere Häfen, „Time to pack it in“. Es heißt, Rubin habe Cash die meisten der Lieder vorgeschlagen. Herzerweichend ist das, wenn der Alte das nahende Ende beschwört – und relativiert. Denn der Tod war dem gläubigen Christen Johnny Cash viel mehr Erlösung als Verdammnis. Dass er dennoch Angst hatte, auch das klingt in seiner Stimme.

I Corinthians 15:55 sei die nun wirklich allerletzte Komposition von Johnny Cash, heißt es. „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ – auf dem Bibelvers baut seine Ode ans Danach auf, fromme Zeilen über die Freude des Lebens und die Hoffnung einer freundlichen Aufnahme durch den Erlöser.

„There is a train that’s heading straight, to heaven’s gate, to heaven’s gate. And on the way, child and man, and woman wait, watch and wait, for redemption day“, singt Cash an einer Stelle. Bis hierhin hatte das Würde – nun möge der Zug nicht erneut anhalten auf dem Weg zur Himmelspforte. Auch nicht zum allerallerallerletzten Mal.

„American VI: Ain’t No Grave“ von Johnny Cash ist auf CD und LP bei Mercury/Universal erschienen.