Das Yesterdays New Quintet klingt wie eine echte Band. Vielleicht entsteht seine Musik in staubigen Gemächern? Nein, sie ist nur ein groovendes Hirngespinst im Universum.
New York im Jahr 1978: Die Dilettanten halten Einzug in den Jazz. Eine Gruppe von Künstlern betritt die Bühne, sie nennen sich Lounge Lizards, Salonlöwen. Dabei sind sie eigentlich Punks. Links krümmt sich ein Hungerhaken mit Hornbrille und verdrischt seine Gitarre, Arto Lindsay heißt er. In der Mitte steht der Chef, ein zweitklassiger Saxofonist namens John Lurie. Er ist gut angezogen. Der Jazz hat gerade die lange Periode der Fingerfertigkeit durchlebt, Fusion-Jazz und Jazzrock haben ihn technisch perfektioniert. Die Lounge Lizards bringen die Abenteuerlust zurück in den Jazz. Sie prahlen nicht mit ihren künstlerischen Fähigkeiten, sondern machen Fake Jazz. Fälscher wollen sie sein, Antäuscher. Dreißig Jahre später sind sie keine Faker mehr, Zeit lehrt Instrument. John Lurie schreibt heute Filmmusiken.
Oxnard, Kalifornien, im Jahr 2007. Der HipHop-Produzent Madlib arbeitet besessen in seinem Studio, er verlässt es selten, gibt keine Interviews. Jedes Jahr veröffentlicht er rund zehn Alben unterschiedlicher Klangfarben. Niemand weiß, was er im Studio treibt, bis er es in die Welt schickt: HipHop mit indischen Bollywood-Samples, Raps mit Heliumstimme, Basslastiges für die Clubs, Deep-House. Madlib nennt sich Universalist. Seine Lust an der Täuschung und am Abenteuer verbinden ihn mit den Lounge Lizards.
Seit ein paar Jahren gibt es auch Platten seines Jazzprojekts Yesterdays New Quintet. Die Musik bewegt sich zwischen FreeJazz und Bossa Nova. Elektrisch und groovig sucht das Quintett die Nähe zum HipHop und seinen Bassfrequenzen. Es klingt nach Livemusik, unmittelbaren Sessions aus staubigen Gemächern, erdig und nie entspannt. Madlib und seine Band streben Richtung All, entrückte Synthesizer weisen den Weg. Das hat im FreeJazz Tradition. Antäuschend echt.
Auf den ersten Blick ist das neue Album Yesterdays Universe eine Kompilation mit Stücken des Yesterdays New Quintet und vieler Gastmusiker. Das Otis Jackson Jr. Trio interpretiert Bitches Brew von Miles Davis. Das Last Electro-Acoustic-Space Jazz & Percussion Ensemble widmet seinen Beitrag der Monica Lingas Band. Die wiederum hat keine MySpace-Seite. Ein sicheres Indiz dafür, dass es sie nicht gibt. Aber was ist schon sicher im Yesterdays Universe?
Soviel auf jeden Fall: Das Yesterdays New Quintet ist ein Hirngespinst. Die beteiligten Musiker Monk Hughes, Joe McDuphrey, Ahmad Miller und Malik Flavors gibt es nicht. Sie sind die virtuellen Bandkollegen von Otis Jackson Jr., so heißt Madlib bürgerlich. Nichts ist live eingespielt, alles wird im Studio montiert. Madlib spielt die meisten Instrumente selbst, solide aber nicht virtuos. Nur die renommierten Schlagwerker Karriem Riggins und Mamao sind auch aus Fleisch und Blut. Mit ihrem neuen Album Yesterdays Universe würden sich Yesterdays New Quintet auflösen, heißt es. Die Musiker wollten Soloprojekte verfolgen. Diese(r) Spinner!
Madlib gewährt Einblicke in sein Universum, und unsere Köpfe drohen zu platzen. Am Ende ist die Erde vielleicht doch bloß eine Scheibe. Und vielleicht steht sie schon in unseren Plattenschränken. Madlib sitzt derweil im Studio und arbeitet an der nächsten Überraschung.
„Yesterdays Universe“ vom Yesterdays New Quintet ist erschienen bei Stones Throw Records.
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