M.I.A. übt Kritik mit den Mitteln ihrer Herkunft. Sri Lanka wird auf dem Album „Kala“ zum Inbegriff all dessen, was ihr an der westlichen Haltung zur Dritten Welt kritikwürdig erscheint.
Weltmusik ist ein altbackener Begriff, beladen mit dem schwülen Duft von Patschuli, ausgefranst an den Juterändern, überfrachtet mit Folklore und stets gefährlich nah am Panflötenpop. Ein triftiger Grund, die viel gescholtene Dominanz technoider Musik zu begrüßen, ist es doch das Elektronische an neueren Soundmixturen, das aus Weltmusik etwas jetztzeitigeren Ethno-Pop macht. Damit wären wir auch schon bei M.I.A.
Die bezaubernd rotzige Sängerin aus London stülpt die Stile ihrer südasiatischen Wurzeln über jede Strophe, jede Note, jeden Satz. Ständig fegen ekstatische Drums durch die Harmonien, streichen orientalische Geigen hinein, schwirren flächige Gesänge wie Mantren umher. Selbst ihr flapsiger Sprechgesang klingt oft nach einer Sitar. Das alles wäre jedoch so konservativ wie kommerziell chancenlos, gäbe es nicht diese Digitalstrecken hinter den Dhols und Tablas und Freiheitsparolen und Muttersprachversatzstücken. M.I.A. streut Spurenelemente ihrer Herkunft so spielfreudig unter all die Samples, dass man ihr den volkstümlichen Gestus nachsieht, vom aufgekratzt Mädchenhaften der Performance ganz zu schweigen: M.I.A. kocht über, unablässig.
Sicher, die Mischung aus Tradition und Moderne ist nicht neu. Aber Mathangi »Maya« Arulpragasam verbindet beides mit einer weltzugewandten, trotzigen Energie, der schwer zu entkommen ist. Kala, das zweite M.I.A.-Album, enthält Musik, die vor den Gedanken den Körper erreicht und alles, was sie an politischer Botschaft mit sich führt, zunächst einmal im Stroboskoplicht der Disco ausprobiert: Tanzt kaputt, was euch kaputt macht. Hatte bereits das Debütalbum Arular mit zappeligem Dancepop zwischen Bollywood, Achtziger-Jahre-Disco, Panjabi MC und dem Ethnojazz einer Neneh Cherry die Tanzflächen aufgeheizt, klingt die aus Sri Lanka eingewanderte Soundbastlerin zwei Jahre später, gerade 30 geworden, eher noch hitziger.
Während das ähnlich gestrickte Migrantenduo Mattafix beim gleichzeitigen Start von identischer Stelle aus versucht hatte, Ethnopop vom Ballast des Politischen zu befreien, um andere Perspektiven aufs Leben in der Migration zuzulassen, entdeckt M.I.A. ihre südasiatischen Hintergründe unablässig neu. Sri Lanka wird auf Kala zum Inbegriff all dessen, was ihr an der westlichen Haltung zur Dritten Welt kritikwürdig erscheint: die Überheblichkeit des Reichtums, die Exotisierung alles Fremden. Erst am Ort ihrer Jugend, so lässt sich aus jedem Stück herauslesen, kann sie sich im westlichen Alltag erden, ihre Position finden und Stärke zeigen. Selbst wenn sie die Ursprünge des Techno beleuchtet wie in XR2 oder Afrikas waffenstarrender Misere ein Lied widmet (20 Dollar), fehlt nie die Ursprungsreferenz.
Wer dieser fast zwanghaften Rückbesinnung kritisch gegenübersteht, könnte sie tribalistisch nennen, einen Versuch, Kulturen ästhetisch zu überhöhen. Wer darin einfach einen Quell der Inspiration erkennt, hat M.I.A. besser verstanden. Denn letztlich will auch ihre Musik vor allem eines: unterhalten. So sehr Maya Arulpragasam von ihrer Herkunft bestimmt ist, so sehr ist sie inzwischen im kapitalistischen Wesen heimisch, mit allem, was dazugehört. „All I wanna do“, singt sie im wunderbaren Paper Planes. Was sie zu tun gedenkt, verrät sie dann mit vier rhythmischen Schüssen und untermalt das folgende „and take your money“ mit dem Klang einer Registrierkasse. So klar kann Symbolismus sein. Und so gegenwärtig Folklore.
„Kala“ von M.I.A. ist als CD und Doppel-LP erschienen bei XL Recordings/Beggars Banquet.
Der Text ist abgedruckt in DIE ZEIT 2007/39.
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