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Kehle und Seele sind eins

 

Ein weltreisender junger Amerikaner nennt sich Beirut und findet eine musikalische Heimat auf dem Balkan. Seine zweite Platte ist ein Poesiealbum voller Fernweh und Pirouetten.

Beirut The Flying Club Cup

Manch einer bereitet sich im Hier und Jetzt ein warmes Nest, den Anderen zieht die Sehnsucht in die Welt hinaus. Auch da draußen im Unbekannten kann es schön sein, wartet doch allerorts Musik, die es zu entdecken gilt.

Den jungen Zachary Condon aus Albuquerque, New Mexico trieb es schon als Schüler in die Ferne: New York, Istanbul, Berlin, Amsterdam. Er musste Klänge sammeln in seinem tönenden Herbarium. Dann trug er die Samen ins Elternhaus und schüttete sie in seinem Heimstudio aus. Er sortierte sie 2006 in einem Album, nannte sich Beirut und die Platte Gulag Orkestar.

Beirut brachte fremden Wind in die amerikanische Folk-Tradition. Seine Musik erzählte Geschichten aus der Alten Welt. Er schlug Schellenkranz und Trommel, zog das Akkordeon, zupfte die Ukulele, griff in die Klaviertasten und blies das Flügelhorn. Er sang von Bratislava, Brandenburg und Postcards from Italy – und all seine Lieder schwelgten in den rotweingetränkten Klangfarben des Balkans. Dort hat er eine musikalische Heimat gefunden.

Beiruts Sehnsucht gilt nicht nur anderen Ländern, sondern auch anderen, vergangenen Zeiten. Sein neues Album The Flying Club Cup ist inspiriert von einer gleichnamigen Fotografie, die 1910 in Paris entstand. Sie zeigt eine Gruppe von Heißluftballons am Himmel vor dem Eiffelturm. Im Beiheft zur CD lässt er französische Geschichte wieder aufleben: Die Damen auf den historischen Aufnahmen tragen Charleston-Kleider, Fellstolen und Pagenfrisur. Die Herren geben sich im lockeren Kolonial-Chic, ihre Konversationen über Napoleon, Montmartre, Fuchspelze und – wie könnte es anders sein – Reisefieber und Fernweh sind abgedruckt. Ein widersprüchliches, welkes Frankreich, das hinter einem Sepiaschleier schlummert.

Dies sind also die Bilder, die Beirut in sein zweites Album geklebt hat. Seine Musik klingt noch immer, als würde sie von einer rumänischen Hochzeitskapelle gespielt, jetzt aber vor der Sacré Coeur. Zachary Condon liebt die Chansons von Jacques Brel, Charles Aznavour und Serge Gainsbourg. So ist das Ungestüme von Gulag Orkestar einer ausbalancierten Eindringlichkeit gewichen.

Beiruts Melodien sind elegisch, melancholisch und so einfach, dass die Hochzeitsgesellschaft mitsingen kann. Bei aller Weltläufigkeit schafft er eine intime Atmosphäre. Rührend ist der Charme des Imperfekten: Wenn Condon und sein Gulag Orkestar – seine neunköpfige Begleitband – sich versammeln, geht es nicht um makellose Intonation und exakte Rhythmen, sondern um Spielfreude. Die Bläser und Streicher stimmen verstimmte Chöre an, beschwingte Dreiertakte rasseln dahin. Über dem bunten Gemisch erhebt sich der Gesang Beiruts, inbrünstig und gebrochen wie sein Trompetenspiel. Die Melodiebögen fließen aus ihm heraus und verschnörkeln sich zu kleinen Melismen. Kehle und Seele sind eins.

Es ist nicht leicht, einzelne Höhepunkte auf The Flying Club Cup zu benennen. Das pluckernde A Sunday Smile, das im großen Unisono aufgeht, oder The Penalty in seiner mittelalterlichen Schlichtheit, das tänzelnde Nantes oder das alkoholisierte Forks And Knives (La Fête) … am Ende dreht die Welt Pirouetten im Rausch der Klänge, Melodien und Rhythmen.

Beiruts Musik passt in alle Epochen und an alle Orte, denn sie ist ebenso universell verständlich wie zeitlos – ein warmes Nest im Hier und Jetzt.

„The Flying Club Cup“ von Beirut ist als CD und LP erschienen bei 4AD/Beggars Banquet.