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Welten aus Pling und Plong

 

Klavier mit Vibrafon – wie ungewöhnlich! Pascal Schumacher und Jef Neve entwickeln zusammen mikroskopische Schönheiten zwischen Pop, Jazz und Zeitgenössischem.

Jef Neve (links) spielt Klavier und Pascal Schumacher das Vibrafon (© Isabelle Pateer)

Vibrafon und Klavier. Als Duo. Also in etwa Pling-Pling trifft Pling-Pling? Hm. Wie klingt das so? Arg eintönig, was? Neinnein. Minimalistisch allerdings schon. Die Faszination liegt im mikroskopischen Bereich. Dort, wo sich das modulierte, eben vibrierende Pliuang-Pliaong des Vibrafons und das herrschaftliche Flügel-Plink-Plink aneinander reiben.

Überhaupt, Duo: Pascal Schumacher, der hatte doch ein Quartett? Er hat es noch. Zuletzt nahm der Luxemburger Vibrafonist damit 2009 ein Album auf, das Here We Gong hieß. Zum Quartett gehörte noch ein Bassist, ein Schlagzeuger und ein Pianist, nämlich der Belgier Jef Neve. Mit ihm zusammen ist jetzt das Duo-Album entstanden. Neve allerdings ist schon weitergezogen zu einem eigenen vielversprechenden Trio, ein anderer Pianist ersetzt ihn in Schumachers Quartett.

Pascal Schumacher hat klassisches Schlagzeug studiert, unter anderem in Straßburg, und dann ein Jazzstudium in Brüssel angehängt. Dort begann auch seine Bühnenkarriere: Sein erstes Quartett versammelte er ein, als er im berühmten Jazzclubs Sounds zu Jam Sessions ging – mitsamt seinem sperrigen Instrument.

Neve, Jahrgang 1977, ist ähnlich zweigleisig in Klassik und Jazz sozialisiert, tritt mit Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen und gemeinsam mit dem Tenor Koen Vereertbrugghen mit Robert Schumanns Dichterliebe auf, absolvierte Meisterklassen bei Großjazzern wie Guy De Mey oder Brad Mehldau, ist für eine wöchentliche Jazzsendung im belgischen Radio verantwortlich und hat ein eigenes Klavierkonzert komponiert. Gelegentlich arbeitet er sogar mit belgischen Boybands.

Nochmal kurz zurück zu Schumachers Quartett und seinem jüngsten Album. Wie war der Titel? Here We Gong. Das sei ein Ausspruch von Steve Reich, mit dem der Minimal-Komponist bei einem seiner Werke den Einsatz des Vibrafons erklärt habe, erläutert Schumacher. Womit eine gewisse Affinität zwischen Vibrafon, Schumacher und dem musikalischen Mikrokosmos eines Steve Reich aktenkundig wäre.

Als weitere Referenzen führt Schumacher eine ganze Liste auf: den ebenfalls minimalen John Adams, die New Yorker Neue-Musik-Stilmischmaschine Bang On A Can, die Skandinavojazzer von e.s.t., aber auch Radiohead und Coldplay. Die Plattenfirma ergänzt nonchalant um Keith Jarrett, Claude Debussy, Erik Satie, Johann Sebastian Bach „u. v. a.“

Vor allem u. v. a. Den Rhythmus von Strawinsky, die Farben von Debussy, die Dissonanzen von Thelonius Monk und das Bauprinzip von Steve Reich. Popähnliche zeitgenössische Musik mit Wurzeln in der Klassik und Untertönen aus dem Jazz. Wobei Schumacher mit der zeitgenössischen Musik so seine Probleme hat: Als er studierte, bedeutete das „sechs Monate des Übens an einer unmöglichen Partitur, dann einmal aufführen und die richtig schwierigen Stellen trotzdem versemmeln“, sagt er – darum sei ihm damals der Jazz so lieb geworden.

Viel Platz für Improvisation allerdings bleibt bei der Musik des Duos nicht: „Was wir machen, ist eigentlich gar kein Jazz“, sagt Schumacher, „das ist viel zu ‚komponiert'“. Und zwar im Millimeterbereich. Repetitive Klangmuster ballen sich allmählich zu Tonwolken, um dann in einzelne vibrafone oder auch glockengespielte Tropfen zu zerplatzen, die sanft abregnen. Fugengleich verfolgen blaugetönte Motive einander von den Saiten auf die Metallplatten und zurück.

„Filmmusik ist sowieso cooler zu schreiben als andere Musik“, sagt Schumacher. Und Neve war mit einer Arbeit für den belgischen Regisseur Felix Van Groeningen schon bei den World Soundtrack Awards zu Gast. Die neun Tracks des Albums sind ihr eigener Film, sind sich selbst genug.

Die Fähigkeit des Klaviers, eine große Bandbreite an Stimmungen zu erzeugen, potenziert das Vibrafon mit seinem mal hart-perkussiven, mal flächigen, mal dank langsam gestellter Vibration unheimlich modulierten Ton. Wobei die Rollenverteilung variabel bleibt: Oft genug hämmert das Klavier, von dem man doch harmoniesatte Akkorde erwartet hätte, und das Vibrafon, ein ausgewiesenes Schlaginstrument, singt.

Wie das also klingt? Vibrafon und Klavier, als Duo? Jedenfalls nicht eintönig, bei allem Minimalismus. Es lädt ein zum genauen Zuhören, Hinhören, Einhören, gerade in Passagen, in denen sich viele Töne zwischen den Taktstrichen drängeln. Neve und Schumacher bauen Welten aus Plink und Plaong. Nur eine Frage, die bleibt offen: Warum nennen Schumacher und Neve ihr Album Face to Face – und lassen sich für das Cover mit einander abgewandten Gesichtern fotografieren?

„Face To Face“ von Pascal Schumacher und Jef Neve ist erschienen bei Enja Records.