Das neue Album von Wir Sind Helden ist ein Meisterwerk. Judith Holofernes und ihre Herren verzichten auf Parolen und legen eine abgeklärte Reife an den Tag.
Es gibt Künstler, die sind nicht cool. Hermann Hesse zum Beispiel, Claude Monet oder auch Cat Stevens. Von deren Büchern, Bildern oder Liedern mögen wir in einer gewissen Phase unseres Lebens berührt worden sein. Ist diese Phase dann vorbei, zahlen wir ihnen die Berührung mit Verachtung heim. Auch Wir sind Helden haben mit ihrem nassforschen Debüt Die Reklamation vor sieben Jahren den Nerv einer Generation getroffen. So berühmt wie inzwischen berüchtigt sind die augenzwinkernden Wortspiele, in die Sängerin Judith Holofernes zu aufgehübschtem NDW-Pop ihre Gesellschaftskritik verpackte: „Guten Tag, ich will mein Leben zurück“.
Was im Marketingdeutsch schnöde female fronted-Pop genannt wird, hat seither zahlreiche Nachahmer wie Juli oder Silbermond hervorgebracht, aber auch viel an Popularität eingebüßt. Verkauften sich von Die Reklamation beachtliche 800.000 Exemplare, waren es beim Nachfolger Von hier an blind nur noch 500.000 – Soundso wollten gerade mal 100.000 Leute hören. Macht unterm Strich 700.000, die dem sanften Rebellentum der Band verloren gegangen sind.
Doch vielleicht sollten die 700.000 Abtrünnigen noch einmal in sich gehen. Genau das nämlich haben „die Helden“ ohrenscheinlich selbst getan – um mit Bring mich nach Hause nach drei Jahren Pause recht unerwartet ihr Meisterwerk vorzulegen.
Die Musik klingt gereifter, vielfältiger und wärmer als zuvor, selbst in den flotteren, fast hektischen Stücken. Das Niedliche in Holofernes‘ Stimme ist hinter etwas Rauchiges, Abgeklärtes zurückgetreten. Und wo früher der Synthesizer bemüht wurde, verbreiten nun Instrumente wie Akkordeon, Banjo oder arabische Laute eine Atmosphäre des Handgemachten: Helden unplugged. Ein Glücksgriff war es auch, den Sound vom Briten Ian Davenport gestalten zu lassen, der unter anderem schon den ähnlich melodieverliebten Exzentriker Badly Drawn Boy produziert hat.
Textlich umkreisen die Songs des Albums so schwergewichtige Themen wie Auflösung, Scheitern und Tod: Helden auf existenzieller Reise. Klänge es nicht so furchtbar abgedroschen, man könnte sagen: Die größtenteils in Berlin-Kreuzberg beheimatete Band ist erwachsen geworden.
Jedenfalls gehört Mut dazu, das sperrige, in sich kreiselnde Alles als Single auszukoppeln – und nicht den unglaublich dichten und stürmischen Hit Was uns beiden gehört, der sich anhört und anfühlt wie ein vermisstes Stück von Paul Simons Graceland. Vor allem aber ist auf Bring mich nach Hause auch mit der Lupe kein Song auszumachen, der sich im Parolenhaften erschöpft.
In den persönlich gehaltenen Tableaus und vertonten Kurzgeschichten entfaltet Holofernes‘ ebenso legendärer wie gefürchteter Wortwitz eine ganz neue Qualität. Was als Gesellschaftskritik schnell allzu lieb und wenig bissig daherkam, wirkt nun wie ein poetisch verdichteter Kommentar zu den Fährnissen des Alltags, etwa wenn sie in Meine Freundin war im Koma zu spartanischer Pianobegleitung vom letzten Hemd singt, das keine Taschen hat: „Vielleicht näh‘ ich noch Taschen drauf, aber dann will ich’s mit Fassung tragen“.
Und die zur traurigen Hymne sich steigernde Ballade von Wolfgang und Brigitte hebt so scheinbar kunstlos und lakonisch an, als wäre es eine Novelle von Judith Hermann: „Als Wolf und Brigitte in die Baerwaldstraße zogen, dachten alle dort, sie wären ein Paar…“
Natürlich ist manches noch immer nett, manches auch nur nett. Doch um eine Ahnung von dem Riesenschritt zu bekommen, den die Helden gemacht haben, genügt es, in das düster wogende Titelstück hineinzuhorchen. Es entwickelt sich aus einer unsicher schlingernden Klavierfigur, schrammt haarscharf an Angelo Badalamentis Twin Peaks-Thema vorbei, um sich im Refrain zum fast schon erhabenen Heimwehgesang aufzutürmen. Dazu braucht es allerhand, sogar eine gewisse Coolness. Nur kein Augenzwinkern.
„Bring mich nach Hause“ von Wir Sind Helden ist erschienen bei Columbia Berlin/Four Music
Aus DIE ZEIT Nr. 35/2010