Aus der Indie-Hochburg Portland kommt eine neue Band mit Wagemut: Tu Fawning bezeichnen ihren Pop als Antique-Dance-Tribal-Gospel. Aufregend und hörenswert.
Immerhin 122 Regentage haben die Meteorologen errechnet für Portland, Oregon. Das führt zu der Frage: Was machen Tu Fawning eigentlich die restlichen 243 Tage des Jahres? Man weiß es nicht, aber wenn es regnet, hat Joe Haege unlängst in einem Interview erzählt, dann geht er gern in den Keller. Nicht, um dort zu lachen. Sondern in sein Studio.
Hearts On Hold, das Debüt von Haeges Band Tu Fawning, ist also an einem eher feuchten Ort in eher trüben Zeiten entstanden. Ob es deshalb so klingt, sei mal dahin gestellt. Aber es klingt so: Klavier und Orgeln, verhuschte Perkussion und ätherische Stimmen weben ein finsteres Gespinst. Mitunter locken undefinierbare Tröten den Gesamteindruck ins eher Asiatische, aber schon im nächsten Moment können scharf geschnittene Soul-Bläser aufblitzen. Aus verlorenem Gedängel entwickelt sich ein treibender Rhythmus, eine euphorische Melodie verschwindet im Nichts. Tu Fawning selbst haben die eher ironisch gemeinte Bezeichung Antique-Dance-Tribal-Gospel für ihre Musik entworfen.
Manchmal fährt dann auch noch eine Gitarre schräg durchs klaustrophobische Klangbild, verrutschen die Töne weiter ins Ungefähre. Der demonstrative Dilettantismus entsteht dadurch, dass die vier Bandmitglieder fröhlich zwischen den Instrumenten hin und her wechseln. Das Stümpern wird zur Kunstform, um die Stimmung kurz vorm Abkippen in die Depression wieder zurechtzurücken und einen Abstand zu schaffen von den Gothic-Klischees, die aufzuziehen drohen, aber auch vom Freak Folk, von dem Tu Fawning allerdings manch bizarre Harmonie und das eine oder andere groteske Melodiemotiv übernehmen.
Dieses Beharren auf Distanz kann bisweilen ganz schön anstrengend sein, aber es prägt Hearts On Hold grundsätzlich. Immer wieder, wenn es sich ein Song mal gemütlich gemacht hat in einem Genre, wird er wieder aufgestört von unpassenden Harmonien, abseitigen Ideen, einem befremdlichen Rhythmuswechsel oder überraschenden Lautstärkeregelungen.
Fast scheint es, als wäre das Quartett vor allem deshalb gegründet worden, um all das ausprobieren, was die Kollegen in der momentan so angesagten Indie-Hochburg Portland noch nicht gewagt haben. Oder was die in stillen Stunden doch schon mal gespielt, aber als zu durchgeknallt verworfen haben.
Dabei sind die Mitglieder von Tu Fawning dort gut integriert. Joe Haege spielt sonst bei 31 Knots akademisch anspruchsvolle Rockmusik, Corinna Repp kommt eher aus dem Folk als Solistin und mit ihrer Band Viva Voce. Zusammen gründeten sie 2007 die als Seitenprojekt gedachten Tu Fawning und vervollständigten ein Jahr später die Besetzung: Toussaint Perrault macht mit Baby Dollars sonst eher Reggae und brachte eine am Dub geschulte Sensibilität für abgrundtiefe Hallräume mit, Liza Rietz wiederum war Geigerin bei dem eher kurzlebigen The Swords Project, das mit Bigband-Jazz und Weltmusik experimentierte.
Nun sieht es allerdings danach aus, als sollte das Nebenprojekt zur Hauptsache aufsteigen. Die vier musikalisch so verschieden vorgebildeten Charaktere schaffen ein Amalgam aus Stilen und Ideen, das vielleicht nicht immer bequem zu konsumieren ist, aber jederzeit aufregend, einmalig und vor allem sehr geeignet für die 138 Regentage, die wir im Jahresdurchschnitt in Deutschland erleben.
„Hearts On Hold“ von Tu Fawning ist erschienen bei City Slang/Universal.
Live: 28.2. München, 1.3. Heidelberg, 2.3. Nürnberg, 3.3. Schorndorf, 4.3. Hamburg, 5.3. Berlin