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Bassisten braucht man nicht im Traum

 

Ein einarmiger Schlagzeuger, und das freiwillig: Andy Stack spielt gleichzeitig auf Tasten und Trommeln, Jenn Wasner singt dazu. Dem Duo Wye Oak ist ein tolles Album zwischen Folk und Rock gelungen.

© Natasha Tylea

Ein Theaterstück, in dem ein Drittel der Rollen nicht besetzt sind? Könnte für Verständnisprobleme sorgen. Eine Fußballmannschaft, die nur zu siebt antritt? Hat keine Chance. Tick und Trick ohne Track? Okay, kein so großer Verlust. Aber eine Band, die es seit fünf Jahren nicht schafft, die angestrebte Besetzung zu vervollständigen? Kann durchaus erstaunlich klingen. Der Beweis sind Wye Oak.

Als sich die Sängerin und Gitarristin Jenn Wasner und der Schlagzeuger Andy Stack, die schon seit der Schulzeit in verschiedenen Bands gemeinsam musizierten, in Baltimore gründeten und sich nach einer im heimischen Maryland wachsenden Weißeichen-Art benannten, schrieben sie eine Stelle für einen Bassisten aus. Die Besetzung der Vakanz ist bis heute erfolglos geblieben. Hat aber zur Folge, dass Stack der weltweit wohl einzige, freiwillig einarmige Schlagzeuger der Welt ist. Mit der anderen muss er nämlich das fehlende Bandmitglied ersetzen: Bei Konzerten spielt er auf dem Keyboard nun die Bassfiguren, während er trommelt.

Aus der Notlösung ist längst ein Alleinstellungsmerkmal geworden. Vor allem aber ist es ein großes Glück, dass die Musik die womöglich einzige Kunstform ist, bei der gerade aus der Unfertigkeit ein großer Reiz entstehen kann. So kann man auf Civilian, dem neuen Album von Wye Oak, zwar durchaus hören, dass die beiden – nach zwei Alben, die zwar ziemlich unbehauen klangen, aber eben nicht so großartig unfertig – offenbar immer noch auf der Suche nach einem Sound sind. Währenddessen sind sie aber wohl zu der Erkenntnis gelangt, dass das Ziel sowieso nur der Weg sein kann.

Es ist also eine Suche, die auf keinen Abschluss mehr hinarbeitet. Der man einen solchen aber auch nicht allzu dringend wünschen möchte, so wundervoll tasten sich Wasner und Stack vor in die Leerräume zwischen Dream Pop und handfestem Lärm, zwischen ländlicher Americana und New Yorker Feedback-Gewitter. Tatsächlich gelingt ihnen das absurde Kunststück, irgendetwas zwischen Folk und Rock zu erfinden, ohne gleich etwas so Profanes wie Folkrock zu spielen.

Was allerdings zuerst auffällt: Wie leise zwei Leute sein können – und im selben Moment doch so laut. Das hat aber nur bedingt etwas mit wechselnden Lautstärken zu tun, sondern eher mit Intensität. Wye Oak wirken zwar behäbig, weil der Rhythmus, den Stack vorgibt, entschieden schläfrig ist, aber dabei entwickeln sie eine unerhörte Spannung. Eine Dringlichkeit, die sich dann wieder glücklich verliert in den elegischen Melodien und den Klanggebilden, die strukturlos erscheinen wie ein Traum.

Deshalb ergibt es auch nicht allzu viel Sinn, einzelne Songs herauszuheben. Civilian funktioniert vor allem als Ganzes. 39 Minuten, nach denen man plötzlich erwacht, misstrauisch die restlichen Sinne wieder in Betrieb setzt und sich wie ertappt fühlt, zurückgestoßen in eine Welt, die man nur zu gern hinter sich gelassen hat. Es ist, als hätte man eine Fata Morgana erblickt, in der allerdings keine Palmen vorkommen. Nein, da fehlt nichts. Wye Oak kriegen das hin.

„Civilian“ von Wye Oak ist erschienen bei City Slang/Universal