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Der Wahlkampf der Netzwerke

 

Anhänger mobilisieren, Spenden sammeln, Themen setzen: Als Barack Obama 2008 ins Weiße Haus einzog, hatte er das auch einem Wahlkampf zu verdanken, der wie kein anderer zuvor dafür die Möglichkeiten des Internets nutzte. Mit einer beispielgebenden Onlinekampagne aus der Werkstatt der Agentur Blue State Digital setzte der Präsidentschaftskandidat Maßstäbe, bei denen weder seine parteiinternen Mitbewerber noch sein republikanischer Gegner John McCain mithalten konnten. Nur ein paar Zahlen, um zu verdeutlichen, in welchen Dimensionen die Website barackobama.com und alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu Obamas Sieg beigetragen haben dürften:

  • 3 Millionen Spender brachten der Kampagne mit rund 6,5 Millionen einzelner Zahlungen gut 500 Millionen Dollar ein.
  • Mehr als 13 Millionen Menschen trugen auf der Seite ihre E-Mail-Adresse ein, um sich über die Fortschritte des Kandidaten auf dem Laufenden zu halten; sie erhielten mehr als 7.000 unterschiedliche Nachrichten, ganz zugeschnitten auf ihre Zielgruppe oder auch auf die Höhe ihrer Zuwendungen; insgesamt wurden mehr als zwei Milliarden E-Mails verschickt.
  • Mehr als zwei Millionen Anhänger legten auf der Seite ein Nutzerprofil an, schrieben mehr als 400.000 Blogeinträge, organisierten sich in mehr als 45.000 Freiwilligengruppen und verteilten mehr als 200.000 Veranstaltungshinweise.
  • Im Laufe der Kampagne verbrachten die Nutzer rund 14 Millionen Stunden damit, sich die mehr als 1.000 Videos auf YouTube anzusehen, die Obamas Wahlkampf zustande brachte.

Weil mittlerweile auch die Gegenseite dazugelernt und das Potenzial von Onlinekampagnen entdeckt hat, legt das Obama-Lager nun mit seinem Dashboard nach: Die neue Plattform, schon vor dem Launch als „Heiliger Gral“ des digitalen Wahlkampfs glorifiziert, bringt den Kandidaten noch näher an seine Anhänger heran. Vor allem aber hilft sie den unzähligen freiwilligen Unterstützern, sich untereinander zu vernetzen. Im Prinzip ist Dashboard eine Art Wahlkampf-Facebook mit hochentwickelten Funktionen. Die Anhänger können miteinander kommunizieren, die Aktivitäten anderer verfolgen, gemeinsam Veranstaltungen und Aktionen organisieren, sich Teams in ihrer Region anschließen, neue Unterstützer mobilisieren – egal ob vom Computer zu Hause aus oder unterwegs per Laptop, Tablet, Smartphone.

Aus Sicht der Anhänger gab es davon vieles bereits 2008. Doch die neue Social-Campaigning-Plattform ist nicht nur ein hilfreiches Werkzeug und eine kurzweilige, motivierende Spielerei für die Freiwilligen. Für die professionellen Obama-Wahlkämpfer ist es in erster Linie der Versuch, Online- und Offline-Aktivitäten zusammenzubinden. Denn besonders wertvoll sind diejenigen Helfer, die sich als lokale Teamleiter engagieren. Über sie dokumentiert das System alles, was vormals getrennt erfasst wurde: von gesammelten Unterschriften an einem Infostand bis zur Spende und ihrer Vorgeschichte. Jedoch fehlt in der neuen Version eine Möglichkeit, direkt online zu spenden, und die alten Accounts mitsamt bereits bestehenden Vernetzungen lassen sich (noch) nicht übertragen.

Letztlich ist Dashboard damit in erster Linie ein riesiger Datenpool und zugleich ein Mittel für die Kampagnenchefs, noch einmal stärker als bisher Einfluss auf und Kontrolle über die vielen kleinen Wahlkampfaktionen auf lokaler Ebene auszuüben. Das wird etwa deutlich mit der Funktion des Systems, die es erlaubt, für motivierte Aktivisten Ziele zu definieren, die es zu erfüllen gilt. Es geht also nicht nur darum, mehr über die Anhänger und ihre Aktivitäten zu wissen, sondern diese Aktivitäten auch stärker steuern zu können und schnelleres Feedback zu erhalten – immer mit dem Ziel, dass der online generierte und ausgedrückte Enthusiasmus auch auf der Straße seinen Widerhall findet. Die Stärke dieser Art Onlinekampagne ist dabei, dass sie On- und Offline eben nicht als zwei getrennte Welten betrachtet.

Arsenal an Spezialisten

Doch wie gesagt: Der technologische Vorsprung, den Obamas Kampagne 2008 zweifellos hatte, ist längst nicht mehr so überwältigend. Gegenspieler Mitt Romney setzt auf eine vielleicht nicht so weit entwickelte, aber doch sehr ähnliche Plattform: Über das Netzwerk MyMitt können auch seine Anhänger miteinander in Kontakt treten und sich für den Wahlkampf engagieren. Die Republikaner als Partei versuchen es über eine Facebook-App: Dank des Social Victory Center können sich Unterstützer dort ebenfalls direkt miteinander vernetzen. Doch was Obamas Internetwahlkampf so überlegen machte, waren nicht die Technik und die Dimensionen, sondern vielmehr, was die Kampagne aus der Interaktion mit den Anhängern zog, wie sie den Enthusiasmus kanalisierte.
Deshalb ist der interessanteste Teil nicht das Dashboard selbst, wie es sich den Nutzern darstellt. Viel spannender – und Details dazu halten Obamas Digitalstrategen unter Verschluss – ist die Auswertung und Steuerung. Was also passiert mit den detaillierten Daten über die Anhänger? Wie werden diese Informationen mit Umfrageergebnissen oder in bestimmten Regionen besonders wichtigen politischen Themen in Verbindung gebracht? Wie wird das Netzwerk genutzt, um ganz gezielt nach Region, Alter oder Lebenssituation Wahlwerbung zu schalten und Wähler zu mobilisieren? Dafür beschäftigt Obama mehr als 100 Statistiker, Experten für Data Mining, Meinungsforscher, Fachleute für gezielt verbreitete Internetanzeigen, ein ganzes Arsenal also an Spezialisten, deren Arbeit den Unterschied zur Konkurrenz darstellen könnte. Denn längst geht es nicht mehr allein darum, wer das meiste Geld für Werbung ausgibt. Die Kandidaten wissen: Jeder einzelne Wähler muss genau die Botschaft erhalten, die ihn veranlasst, das Kreuz an der richtigen Stelle zu machen.