Den elften Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 wollte Mitt Romney mit seiner Reaktion auf die Angriffe auf US-Vertretungen in Libyen und Ägypten eigentlich nicht belasten: Seine Äußerungen zu den Vorfällen und vor allem seine Kritik an Präsident Barack Obama sollte ursprünglich nicht vor Mitternacht veröffentlicht werden. Doch dann überlegte es sich der republikanische Kandidat für das Weiße Haus offenbar anders. Gegen 22.10 Uhr war seine Mitteilung an die Medien gegangen, nur 15 Minuten später hob seine Sprecherin Andrea Saul die Sperrfrist auf.
Aus Respekt vor den Opfern der Terrorattacken hatten beide Seiten ihre aggressiven Werbespots an diesem Gedenktag zurückgezogen. Am 11. September soll die Erinnerung im Vordergrund stehen, Politik hat da keinen Platz, schon gar nicht in der hässlichen Form des Wahlkampfs – das ist in den USA zur Tradition geworden.
„Weniger als zwei Monate vor der Wahl würde ich bei einem solchen Treffen normalerweise über die Unterschiede zwischen meinen Plänen und den Plänen meines Kontrahenten für das Militär und die nationale Sicherheit sprechen“, sagte Romney bei einem Besuch der Nationalgarde in Reno, Nevada. „Es gibt eine Zeit und einen Ort dafür, aber dieser Tag ist nicht heute.“
„Schändliche Reaktion der Regierung“
Doch Romney konnte es offenbar doch nicht abwarten, wieder in den Wahlkampf einzutreten. Mehr noch: Was er über Angriffe in Bengasi und Kairo zu sagen hatte, mündete in äußerst harschen Vorwürfen an die Adresse des Präsidenten. Während des gesamten Wahlkampfs hatten er und viele andere Republikaner Obama bereits wiederholt dafür kritisiert, er sei gegenüber den Feinden der USA zu weich und mitfühlend. Außerdem entschuldige er sich überall auf der Welt permanent für Amerika und glaube nicht an die Stärke und Größe der Nation. Den Vorwürfen Romneys schlossen sich pünktlich um Mitternacht hochrangige Republikaner wie der Parteivorsitzende Reince Priebus, Sarah Palin oder Ted Cruz an.
„Ich bin empört über die Attacken auf unsere diplomatischen Vertretungen in Libyen und Ägypten und über den Tod eines amerikanischen Konsulatmitarbeiters in Bengasi“, hieß es in der Mitteilung. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht sicher, wie viele Menschenleben die Stürmung der Botschaft gekostet hatte und dass der Botschafter Chris Stevens unter den Opfern war. „Es ist schändlich, dass die erste Reaktion der Obama-Regierung nicht war, die Attacken auf unsere diplomatischen Vertretungen zu verurteilen, sondern mit denen zu sympathisieren, die diese Attacken geführt haben.“
Die Ausschreitungen in Bengasi und Kairo waren ausgelöst worden durch Ausschnitte aus dem Film eines angeblich israelisch-amerikanischen Immobilienhändlers (wer wirklich dahinter steckt, ist noch nicht klar), die bei YouTube und auf einem ägyptischen Fernsehsender zu sehen gewesen waren. Unter anderem verunglimpft der Film satirisch den Propheten Mohammed als Betrüger und Frauenheld.
US-Botschaft verurteilt Beleidigung von Gläubigen
Bereits Stunden bevor wütende Demonstranten das Gelände angriffen, gab die US-Botschaft in Kairo eine Mitteilung heraus: Sie verurteile „die fortgesetzten Bestrebungen fehlgeleiteter Individuen, die religiösen Gefühle von Muslimen zu verletzen – so wie wir die Beleidigung von Gläubigen aller Religionen verurteilen (…) Wir lehnen die Taten derjenigen strikt ab, die das universelle Recht auf freie Meinungsäußerung dazu missbrauchen, andere wegen ihrer religiösen Überzeugungen zu kränken.“ Auch Außenministerin Hillary Clinton und Präsident Obama hatten zwar die Ausschreitungen scharf verurteilt, jedoch zugleich betont, die „USA missbilligen jeden vorsätzlichen Versuch, die religiösen Überzeugungen anderer schlechtzumachen“.
Das Weiße Haus will sich aber offenbar dennoch von den Erklärungen der Botschaft in Kairo distanzieren. Das Statement sei nicht mit Washington abgestimmt worden und gebe nicht die offizielle Position der Regierung wieder, hieß es. Von der Homepage der Botschaft ist die Mitteilung inzwischen verschwunden. Ebenso wurden mindestens sechs Tweets vom Account der Botschaft nachträglich gelöscht, die ganz ähnlich lauteten und die Entschuldigung verteidigten beziehungsweise bekräftigten.
Zu den Vorwürfen Romneys äußerte sich Präsident Obama bislang nicht. Sein Wahlkampf-Sprecher Ben LaBolt teilte jedoch mit: „Wir sind schockiert, dass Gouverneur Romney es für den richtigen Zeitpunkt hält, einen politischen Angriff zu führen, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika mit dem tragischen Tod eines unserer Diplomaten in Libyen konfrontiert sind.“
Kleiner Nachtrag: Natürlich ging die Auseinandersetzung weiter. Romney hat seine Vorwürfe noch einmal bekräftigt. Sich für Amerikas Werte zu entschuldigen, sei nie der richtige Kurs, sagte er vor Reportern. Sein Vize Paul Ryan hielt Obama Schwäche vor. Der Präsident äußerte sich gegenüber CBS News zu der Kritik hingegen gelassen: Sein Herausforderer habe die Tendenz, erst zu schießen und später zu zielen. Ob er Romneys Verhalten für unverantwortlich halte, wollte Obama nicht beantworten: „Das sollen die amerikanischen Bürger entscheiden.“