Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Fundraising-Video kann auch eine Chance für Romney sein

 

Mitt Romney, der für eine Runde potenzieller Großspender einen unverstellten Einblick in seine Weltsicht und Strategie gibt – mit der Veröffentlichung des heimlich mitgeschnittenen Videos hat das US-Magazin Mother Jones einen gewaltigen Erfolg erzielt. Und die Debatte über die Grenzen des Sozialstaats ins Zentrum des Wahlkampfs gerückt. Mitherausgeberin Monika Bäuerlein glaubt jedoch nicht, dass für die Republikaner nun alles vorbei ist.

ZEIT ONLINE: Was ist ihre Lieblingsstelle aus dem Video?

Monika Bäuerlein: Schwer zu sagen. Obwohl wir es jetzt schon ziemlich genau durchgegangen sind, finden wir immer noch interessante Stellen. Aber ich würde schon sagen, die wichtigste Stelle ist die über die 47 Prozent der Amerikaner, die von Sozialleistungen abhängen. Das ist einfach das, was mit den Sorgen der Wähler ziemlich genau übereinstimmt. Dass dieser Kandidat einfach keinen Begriff davon hat, wie es den meisten Menschen geht.

ZEIT ONLINE: Ist Romneys Kampagne damit am Ende?

Bäuerlein: Dafür ist es zu früh. Das sieht man ja im amerikanischen Wahlkampf jedes Mal. Die Kampagnen sind immer mindestens 20-mal tot und wieder lebendig, bevor es wirklich ernst wird.

ZEIT ONLINE: Dennoch wird Romney nun schon zum Verlierer erklärt.

Bäuerlein: Schon, in gewisser Weise kann es für Romney aber auch ein Vorteil sein. Denn jetzt kommen als nächstes die Fernsehdebatten. Und da kann er praktisch nichts falsch machen. Wenn er es nicht völlig in den Sand setzt, ist es ein Erfolg.

ZEIT ONLINE: Aber er steht unter dem massiven Druck, sich erklären zu müssen. Das sehen Sie als Chance?

Bäuerlein: Ganz genau, denn Wirtschaft und Steuern sind schließlich seine Themen. Die Republikaner hätten aber schon Anfang des Jahres bemerken können: Wenn die Wirtschaft das bestimmende Thema ist, mit dem man angreifen will, dann ist es eventuell problematisch, wenn man einen Kandidaten aus der Finanzwelt zur Wahl stellt, der selbst unglaublich wohlhabend ist.

ZEIT ONLINE: Liegt es nicht auch an den vorher sehr vagen Ankündigungen im Wahlkampf?

Bäuerlein: Natürlich. Es ist ja inzwischen auch so weit gekommen, dass die Kampagnen so stark in den Medien ausgetragen werden, dass nichts, was da gesagt wird, als irgendwie authentisch erfahren wird. Und dann zu sehen, wie jemand sich ausdrückt, wenn keine Kameras dabei sind, oder er das zumindest annimmt, ist doch noch etwas ganz anderes.

ZEIT ONLINE: Ohne Kameras, das gibt es doch überhaupt nicht mehr …

Bäuerlein: Nein, davon darf man nie ausgehen. Man hätte eigentlich vermutet, dass alle Kandidaten diese Lektion inzwischen gelernt haben, aber dem ist nicht so. Das Interessante an dem, was Romney in diesem Fundraiser gesagt hat, finde ich aber auch: Die Kandidaten machen das ja 1000-mal im Wahlkampf, da sagt man nichts nur einmal. Das heißt, diese Dinge muss er Dutzende, Hunderte Male schon in anderen Situationen gesagt haben. Man merkt ja auch, es ist ein sehr geübter, sehr entspannter Romney, den man da sieht. Das ist nichts, was ihm plötzlich in dem Moment eingefallen ist.

ZEIT ONLINE: Was er inhaltlich gesagt hat, speziell die 47-Prozent-Bemerkung, liegt er denn damit komplett falsch?

Bäuerlein: Das bezieht sich auf eine Studie des Tax Policy Center von 2011, die grob auf diese Prozentzahl der Amerikaner kommt, die keine Federal Income Tax zahlen, die nur einen Teil der Einkommensteuer ausmacht. Sie haben auch untersucht, welche Gruppen das sind: zum Großteil Geringverdiener, Senioren, Studenten, Behinderte und arme Amerikaner. Das sind aber nicht dieselben 47 Prozent, die Obama wählen, ganz im Gegenteil. Und das gleichzusetzen, muss ich sagen, ist eigentlich ein Stümperfehler. Man versteht schon, auf welchen Punkt er da hinauswill. Aber diesen Punkt kann man auch ganz anders ausdrücken. Und es eben so nachweislich falsch darzustellen, dass alle Obama-Wähler praktisch Schmarotzer seien, und das mit einer Zahl zu belegen, die überhaupt nicht anwendbar ist in diesem Zusammenhang, fand ich schon erstaunlich.

ZEIT ONLINE: Grundsätzlich ist die Debatte um den Sozialstaat und Steuern aber doch kein Fehler.

Bäuerlein: Nein, das ist ja auch nichts Neues. Es geht hier eher um das Emotionale, dass diese Leute nicht ernst zu nehmen seien, dass sie nichts zum Gemeinwesen beitrügen und dass Romney nicht für sie da ist. Nur die Steuer, das wäre ja vielleicht noch gegangen. Aber diese Abhängigkeit von der Regierung, gewissermaßen auf Almosen angewiesen zu sein, das sind noch einmal ganz andere Leute. Wenn man allein schon an Rentner und Soldaten denkt – das sind eigentlich nicht die Wählergruppen, die man beleidigen sollte.

ZEIT ONLINE: Die Veröffentlichung des Videos ist nun fast eine Woche her – wie läuft Romneys Schadenbegrenzung?

Bäuerlein: Ich kann mir schlecht vorstellen, dass es ihm gelingen wird, diese Bemerkungen zu erklären oder ungültig zu machen in den Augen der Wähler. Es geht wahrscheinlich mehr darum, davon abzulenken und die Diskussion wieder auf andere Themen zu bringen. Die Wirtschaft wird weiter im Vordergrund stehen, jetzt wird es aber sehr viel schwieriger sein, Wirtschaftsthemen anzusprechen, ohne dass für die Wähler immer mitschwingt: Was versteht der denn davon, welche Probleme ich in meinem eigenen Leben habe?

ZEIT ONLINE: Dass die Leute aus den eigenen Reihen auf Distanz gehen, hilft Romney an dieser Stelle auch nicht.

Bäuerlein: Ja, das macht es dann schwieriger, gegenzusteuern. Weil eine schlechte Nachricht nach der anderen kommt. Als das Video am Montagnachmittag kam, war am Vormittag schon angeklungen, dass Romneys Wahlkampforganisation eigentlich nicht mehr funktioniert, und die neuen Umfragen sehen auch nicht gut aus. Ich würde ihn keineswegs abschreiben, aber bei den Demokraten herrscht auf jeden Fall keine Panik – ganz im Gegenteil. Das kann auch wieder gefährlich werden, die können sich jetzt nicht in Sicherheit wiegen. Denn dann kommen die Fehler.

ZEIT ONLINE: Romneys Zuhörer sollten Schecks ausstellen – das war das Ziel der Übung. Mother Jones ist als Non-profit-Publikation ebenfalls auf Spenden angewiesen. Hat die Video-Veröffentlichung geholfen?

Bäuerlein: Wir hatten noch kein Dinner, bei dem der Eintrittspreis 50.000 Dollar betrug. Bei uns handelt es sich meistens eher um Spenden zwischen 5 und 50 Dollar. Aber von diesen Beträgen sind sehr viele hereingekommen in der vergangenen Woche. Das setzt natürlich auch die Erwartungen für uns auf ein ganz anderes Niveau. Ab jetzt werden unsere Fundraising-Leute erwarten, dass wir alle zwei Wochen so einen Knaller bringen.

ZEIT ONLINE: Wie viel Arbeit steckt hinter der Veröffentlichung?

Bäuerlein: Die Leute stellen sich das so vor, dass einem so eine Enthüllung in die Hände fällt, und dann ist es gelaufen. Aber es ist natürlich viel komplizierter. Schon vor Monaten hatte unser Redakteur David Corn die Investitionen Romneys bei Bain Capital untersucht und war auch auf einen Schnipsel des Videos aufmerksam geworden, der schon auf YouTube war. Er hat dann lange daran gearbeitet, den Rest der Aufnahme zu bekommen, ein Vertrauensverhältnis zu der Quelle aufzubauen. Als wir das Video hatten, war noch eine Menge Fact-checking-Arbeit nötig, um sicherzugehen, dass das solide ist. Für mich war wichtig und sehr bestätigend, als die Geschichte rauskam, dass es hieß: Niemand außer Mother Jones konnte dieses Video verifizieren, aber weil es Mother Jones ist, wissen wir auch, dass dahinter eine gute Recherche steht und es nicht anzuzweifeln ist.