Schon am ersten Abend in Richmond im US-Bundesstaat Virginia ist klar: Wenn es um die Wahl des Präsidenten am 6. November geht, ist das hier ein Schlachtfeld. In der Hotelbar flimmern Quiz- und Talentshows über den Bildschirm, die ständig von Werbung unterbrochen werden – fast alle Spots drehen sich um Amtsinhaber Barack Obama oder seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney. Ein kurzer Test ergibt später: So sieht es auf allen Kanälen aus, die Menschen in Virginia entkommen den Botschaften der Wahlkämpfer nicht. Channel-8-Reporter Nate Eaton sagt mir am nächsten Tag, dass viele eigentlich nur noch darauf warten, dass es endlich vorbei ist. Entschieden hätten sie sich längst.
Doch es ist eng, und deshalb lohnt sich die Anstrengung für die beiden Kontrahenten. Weil alle Wahlmännerstimmen eines Staates komplett an den Kandidaten gehen, der dort gewinnt, sind manche Staaten eben schon fest verbucht für Republikaner oder Demokraten, daran wird nichts zu ändern sein. Anders in Virginia. Einst eine konservative Bastion, hat sich mit dem Bevölkerungswachstum des vergangenen Jahrzehnts die Demografie deutlich gewandelt: Virginia ist so etwas wie ein Mikrokosmos geworden, der die USA im Kleinen widerspiegelt – mit allem, was diese Nation spaltet und zusammenhält.
Was genau das heißt, werde ich in den nächsten Tagen noch genauer beschreiben. In der Region um Richmond ist dieser Mikrokosmos jedenfalls auf engstem Raum zu erfahren: „Wenn Sie heute von West nach Ost und dann nach Richmond hineinfahren, werden Sie merken, dass sich die Schilder in den Vorgärten ändern: von Republikanern zu Demokraten“, sagt Lorraine Waddill von der League of Women Voters, einer überparteilichen Organisation, die politische Aufklärungsarbeit leistet. „Und wenn sie hier in der Stadt aus der Tür gehen, können Sie auf glühende Obama-Verehrer genauso treffen wie auf grundkonservative Romney-Anhänger – vielleicht sind sie sogar Freunde.“
Obama und Romney zollten dieser Entwicklung heute Respekt und waren beide in Virginia auf Wahlkampftour, nicht zum ersten Mal, sicher auch nicht zum letzten Mal. „Dass wir ein Swing State sind und diese übermäßige Aufmerksamkeit bekommen, ist eine relativ neue Erfahrung für uns – früher hat man uns einfach ignoriert“, sagt Pat Fishback von der League of Women Voters. Warum die Menschen hier so wählen, wie sie wählen – das versuche ich in den kommenden Tagen herauszufinden.