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Warum Romney die Wahl gewinnen kann

 

In Europa schütteln immer noch viele ungläubig den Kopf, wenn man ihnen sagt, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten könnte nicht Barack Obama, sondern Mitt Romney heißen. Aber das ist durchaus möglich – und zwar aus mehreren Gründen.

Amerika ist eine politisch gespaltene Nation, die meisten Wahlen waren darum eng. 2008, als Obama nach Schließung der Wahllokale mit sieben Prozent vor seinem Widersacher John McCain lag, war eher die Ausnahme. Vier Jahre zuvor gewann George W. Bush nur mit einem Vorsprung von zwei Prozent gegen den Demokraten John Kerry.

In einem System, in dem es nicht auf die Mehrheit der Stimmen, sondern auf die Mehrheit der Wahlmänner und Wahlfrauen ankommt, war Bushs Vorsprung von 2004 sogar noch geringer.

538 Wahlleute gibt es. Wer in einem der 50 Bundesstaaten die Mehrheit der Stimmen gewinnt, bekommt alle Wahlleute, die dieser Staat zu vergeben hat. Sieger wird, wer am Ende 270 Wahlleute hinter sich versammelt.

Bushs zweifelhaft knapper Wahlsieg

2004, wie wahrscheinlich auch jetzt, war der Bundesstaat Ohio das Zünglein an der Waage. Bush hatte dort nur 100.000 Stimmen mehr als sein Gegner John Kerry. Hätte Letzterer vorn gelegen, hätte er die 20 Wahlleute von Ohio und damit auch die Präsidentschaft bekommen, selbst wenn in ganz Amerika insgesamt weniger Menschen für ihn als für Bush gestimmt hätten.

Im Jahr 2000 war es genau so. George W. Bush wurde zum Sieger erklärt, obwohl er insgesamt eine halbe Million weniger Wählerstimmen erhalten hatte als sein Gegner, der Demokrat Al Gore. Bush hatte am Ende fünf Wahlleute mehr.

Damals war der Bundesstaat Florida das Zünglein an der Waage. Bush hatte dort von den insgesamt sechs Millionen abgegebenen Wahlzetteln nach der Auszählung angeblich 500 Stimmen mehr erhalten als Gore. Es gab ungezählte Ungereimtheiten, doch das Oberste Gericht stoppte mit einem bis heute äußerst umstrittenen Urteil die Nachzählung und Bush erhielt sämtliche 25 Wahlleute, die Florida zu vergeben hat. Damit sicherte sich der Republikaner einen der knappsten und zweifelhaftesten Wahlsiege der amerikanischen Geschichte.

Was gestern geschah, ist egal

Doch außer der Binsenweisheit, dass Wahlen traditionsgemäß knapp ausgehen, sind viele Amerikaner tief verunsichert über ihre eigene Zukunft. Und sie wünschen eine schnelle Lösung. Was gestern geschah und wer alles Mitschuld an der Wirtschaftsmisere trug, ist für ihre Entscheidungsfindung zwar nicht egal, zählt aber auch nicht besonders groß.

Viele Amerikaner denken ebenso nüchtern und emotionslos wie die Zeitung Orlando Sentinel aus Florida. Sie empfahl vor vier Jahren die Wahl Obamas, schwenkte aber jetzt zu Mitt Romney um. Nüchtern bilanziert die Zeitung: Sollte auch Romney im Falle seines Sieges die Wirtschaft nicht rasch in Schwung bringen, würde man 2016 bedenkenlos wieder einen anderen Kandidaten aufs Schild heben.

Klar ist: Die Wirtschaftsaussichten werden die Wahlentscheidung am 6. November maßgeblich beeinflussen. Die meisten Amerikaner werden ihr Kreuz hinter jenem Kandidaten machen, dem sie am ehesten zutrauen, den Karren wieder flott zu machen.

Tiefe Verunsicherung in der Gesellschaft

Es schrecken jedoch nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit und der monströse Schuldenberg. Es existiert ein tiefes Gefühl der Verunsicherung. Eine wachsende Zahl von Amerikanern verliert den Glauben an den amerikanischen Traum, an dieses ewige Versprechen, dass es trotz aller Mühen und Rückschläge am Ende immer bergauf gehen wird. Und dass es die Kinder im Leben besser haben werden als ihre Eltern.

Laut dem amerikanischen „Census Bureau“ lag das durchschnittliche Familieneinkommen – bereits inflationsbereinigt – im vergangenen Jahr um acht Prozent niedriger als im Jahr 2000. Vor allem drücken die rasant wachsenden Kosten für die Gesundheitsversorgung.

Aber auch Löhne sind real gesunken. Die Einkommenskluft zwischen Menschen mit einer College-Ausbildung und jenen, die allenfalls einen qualifizierten Schulabschluss haben, ist inzwischen gigantisch. Zudem: Erstere finden auch viel leichter einen Job, ihre Arbeitslosenquote liegt bei nur 4,1 Prozent.

Amerikas Mittelklasse fürchtet um ihre Zukunft – und sucht darum dringend Antworten. Diese Suche macht den Wahlkampf bis zur letzten Sekunde zu einem nervenaufreibenden Kopf-an-Kopf-Rennen.