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Das Frauenproblem der Republikaner

 

Im US-Bundesstaat Virginia zeigen sich die USA im Kleinen: demografischer Wandel, wirtschaftliche Entwicklung, Wahlverhalten – Virginia ist ein Mikrokosmos, der widerspiegelt, was die USA spaltet, was sie zusammenhält. Unser Reporter Carsten Luther war in der Region um Richmond, Virginia, unterwegs.

Jeder Besuch im „Sophie House“ kostet Tracy Trice Überwindung. Es ist nicht der Ort: Es geht ihr gut dort, sie lacht mit den Frauen, fühlt sich verstanden – das ist es nicht. „Aber um Hilfe zu bitten, ist nicht leicht“, sagt die 36-jährige Mutter dreier Kinder. Das Geld, mit dem ihr Ex-Mann sie unterstützt, reicht für ein kleines Appartement hier in Glen Allen, nördlich von Richmond im Bundesstaat Virginia. Aber seit Tracy wieder einmal ihren Job verloren hat, geht es nicht anders: Die nötigsten Lebensmittel bekommt sie hier, auch eine Kleiderkammer gehört zu der Einrichtung. Nur dank der Unterstützung der sozialen Einrichtung kommt sie über die Runden.

Tracy gehört also zu den 47 Prozent der Amerikaner, von denen der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney sagt, sie könnten die Verantwortung für ihr Leben nicht selbst übernehmen und müssten sich deshalb an den Staat klammern. Über diese Bemerkung kann sie immer noch nur mit dem Kopf schütteln. Alles nur Schmarotzer, die keine Steuern zahlen und lieber Sozialleistungen beziehen, statt arbeiten zu gehen? „Ich will nicht zu Hause rumsitzen, ich kenne niemanden, der so denkt“, sagt sie. „Ich will einen Job und bewerbe mich ständig: im Büro, Busfahren, Seniorenbetreuung – ganz egal.“

Republikaner haben schon lange ein Frauenproblem

Tracy wird den Republikaner also nicht wählen. Auch insgesamt hat er bei der Mehrheit der amerikanischen Frauen einen schweren Stand. Das Phänomen ist nicht neu, schon lange stimmen die Wählerinnen lieber für demokratische Kandidaten. Bei der Wahl vor vier Jahren etwa gewann Barack Obama bei den Männern mit gerade einmal einem Prozentpunkt Vorsprung gegen John McCain; bei den Frauen lag er hingegen mit 13 Punkten vorn. Auch diesmal zeichnet sich dieser Gender Gap erwartungsgemäß deutlich in den Umfragen ab. Über das Ausmaß sind sie sich uneins, in einigen konnte Romney sogar zuletzt auch bei den Frauen aufholen. Doch vieles deutet darauf hin, der Spalt zwischen Frauen und Männern könnte bei dieser Wahl so weit auseinanderklaffen wie schon lange nicht mehr.

Die einfache Erklärung dafür könnte sein, dass Frauen andere Prioritäten setzen, welche Themen wichtig für ihre Wahlentscheidung sind. Das trifft gerade in den umkämpften Swing States zu, wie eine aktuelle Erhebung belegt: Mehr als die Hälfte der Wählerinnen schaut vor allem auf die Positionen der Kandidaten zu Abtreibung und Chancengleichheit. Und gerade da sind die Parteien besonders gespalten; Romney hat alle Mühe, sich von ultrakonservativen Parteifreunden zu distanzieren, die Abtreibung selbst nach einer Vergewaltigung verbieten wollen, und sich als moderater Republikaner zu präsentieren, der die Anliegen der Frauen versteht. Andererseits muss er auch unter den Frauen diejenigen überzeugen, die sich aus religiösen oder ideologischen Gründen eben nicht mit einer liberaleren Sicht anfreunden können.

Romney und das untere Ende der Gesellschaft

„Die Leute orientieren sich zu sehr an social issues wie der Abtreibung“, klagt Grace Dwyer aus Chesterfield. Mit ihrer Mutter Kim ist die 16-Jährige zu einer Veranstaltung von Eric Cantor, dem republikanischen Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, gekommen. Die junge Frau mit vier Geschwistern stammt aus gutem Hause, der Vater betreibt mehrere Gesundheitszentren, die Mutter arbeitet in einem Privathospital. Schon jetzt ist Grace als Wahlkampfhelferin engagiert, auch wenn sie selbst noch nicht abstimmen darf. Sie hat mit vielen Menschen an der Haustür gesprochen – natürlich vor allem mit solchen, die potenziell Romney wählen könnten. „Eigentlich müsste es nur um die Wirtschaft gehen, um unsere Zukunft, doch die wenigsten sind wirklich gut informiert und beschäftigen sich mit den Fakten“, sagt Grace.

Grace und Kim Dwyer

Vielleicht liegt das auch an Romney, gibt ihre Mutter zu bedenken. „Er ist wirklich ein Technokrat“, sagt sie und meint das durchaus positiv: „Er versteht einfach die Zahlen – aber es fällt ihm schwer, zu den Menschen am unteren Ende der Gesellschaft eine Verbindung herzustellen.“ Aus Sicht der 52-Jährigen versuchen die Demokraten, die Wahl zu einem Klassenkampf zu machen. Gleichzeitig hält sie den Unterschied zwischen den beiden Kandidaten für nicht sehr groß: „Obama ist ein guter Typ, ich gebe ihm nicht die Schuld, so festgefahren und gespalten wie die Politik in Washington ist“, sagt Kim. Doch Jobs habe er eben nicht geschaffen, stattdessen bezögen viel zu viele Menschen Leistungen vom Staat und arbeiteten eben nicht.

„Obama steht auf unserer Seite“

So wie Tracy? Noch auf der Highschool wurde sie das erste Mal schwanger. Sich um das Kind zu kümmern, war erst einmal wichtiger als die College-Ausbildung. „Natürlich wollte ich diesen Weg gehen, meine Noten waren gut, aber es ging eben nicht.“ Aufgeben kam für sie dennoch nie infrage, gern würde sie noch einmal zur Schule gehen, um ihre Jobchancen zu verbessern. Aber ob lernen oder arbeiten, beides bringt Probleme mit sich: Umziehen, zu weit weg von der Familie, wäre schwierig; wo käme der siebenjährige Sohn tagsüber unter? „Warteliste“, sagt Tracy bloß trocken, ganz abgesehen davon, wer einen Betreuungsplatz bezahlen sollte.

Für Tracy ist es in dieser Lage nur logisch, auch bei der Wahl am 6. November für Obama zu stimmen – wie schon 2008. Nicht nur, weil die Hautfarbe sie beide verbindet. Auch nicht, weil sie benennen könnte, was er richtig macht, wie genau seine Politik ihr Leben besser macht. Vielleicht spielt wie bei vielen anderen Frauen die Sympathie für diesen Mann eine Rolle. Oder es geht eben doch um die Schere zwischen Arm und Reich. „Er steht auf unserer Seite“, sagt die 36-Jährige. „Ich vertraue ihm einfach.“ Natürlich sei die Wirtschaft nicht im besten Zustand, aber was könne ein Präsident schon wirklich daran ändern? Und überhaupt: „Vier Jahre sind nicht lang, Veränderung passiert nicht so schnell.“