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Wie Sandy Romneys Wahlkampf aus dem Lot bringt

 

Der Dienstag muss ganz furchtbar für Mitt Romney gewesen sein. Angesichts der zerstörerischen Kraft des Hurrikans Sandy war das Gebot der Stunde: kein Wahlkampf! Wie soll das jemand aushalten, der seit einer gefühlten Ewigkeit Präsident der USA werden will, und jetzt eine Woche vor der Abstimmung so kurz vor dem Ziel zu sein scheint.

Dieser Mann kennt doch seit gut fünf Jahren nichts anderes als den permanenten Wahlkampf. Und dann plötzlich darf man nicht mehr so einfach auf den Gegner eindreschen, nicht einfach weitermachen wie bisher, weil es sich einfach nicht gehört. In Zeiten, da das Land zusammenrücken und an der Ostküste in das Auge des Sturms blicken musste, fiel es dem republikanischen Herausforderer von Barack Obama schwer, sich positiv im Gespräch zu halten.

Während Obama alle Wahlkampfauftritte absagte, um in Washington die Katastrophenhilfe zu koordinieren, Führungsstärke zu zeigen, einfach seinen Job als Präsident zu machen, tat Romney also was? Nun, irgendwie musste er ja in die Schlagzeilen, wenn er schon nicht an vorderster Front „den Schröder machen“ konnte (im Archiv unter „Schröder, Gerhard/Bundeskanzler/Elbe-Hochwasser“, wir erinnern uns).

Was er dann in Ohio abzog, hieß offiziell Relief Events. Man musste aber nicht allzu genau hinsehen, um diese Veranstaltungen als ziemlich dreiste Mogelpackungen zu sehen. Zuallererst muss in dieser Phase des Wahlkampfs doch jedem klar sein: Egal wie man es nennt, ein öffentlicher Auftritt des Kandidaten, große Bühne, Musik, Videos – das ist Wahlkampf. Auch wenn man Romney zugute halten muss, dass er die Wahl nicht mit einem Wort erwähnte – auch Obamas Namen nahm er nicht in den Mund. Allerdings konnte die Kampagne nicht einmal sicherstellen, dass sich alle an die Sprachregelung Relief Event hielten – „Republican Campaing Event“ oder „Victory Rally“ klingt jedenfalls schon wieder ganz anders:

Natürlich bekamen die Besucher der Veranstaltungen auch wieder eine Reihe von Wahlwerbevideos zu sehen:

Und auch sonst scheint bei den hastigen Vorbereitungen nicht viel Augenmerk auf dem Sturm gelegen zu haben. Wie sonst konnte ein Song der Zac Brown Band laufen, dessen Text die Zeilen „Knee deep in water somewhere“ enthält; „Dancing in the Streets“ war sicher auch keine besonders gute Wahl.

Aber trotzdem, gehen wir einen Moment lang mal davon aus, Romney habe mit diesen Events Gutes im Sinn gehabt. Schließlich wurden dort wie auch in seinen Wahlkampfbüros beispielsweise Konservendosen oder Kleidung gesammelt für Gebiete, die der Sturm besonders hart getroffen hat. Die Güter sollten nach Romneys Ankündigung vor allem nach New Jersey geschickt werden. Aber mal im Ernst: Hilft das wirklich? Organisationen wie das Rote Kreuz kämpfen seit jeher gegen den frommen Wunsch vieler Menschen, in Krisenzeiten durch Sachspenden ihre in Not geratenen Mitbürger zu unterstützen. Die professionellen Helfer lehnen solche Sammlungen sogar ab – weil etwa das Sortieren, Reinigen und Weiterleiten einfach zu viele Ressourcen bindet.

In Massachusetts, wo Romney Gouverneur war, schreibt das Executive Office of Public Safety and Security sogar: „Gespendete Güter und Freiwillige, die in einem Katastrophengebiet nicht ausdrücklich gebraucht werden, können mehr schaden als helfen. Gut gemeinte, aber wenig durchdachte Sendungen von Sachspenden und Freiwilligen in ein Gebiet, das von einer Katastrophe betroffen ist, können sogar eine ‚zweite Katastrophe‘ auslösen, auch wenn die Spender wirklich nur helfen wollen.“

Und dann ist da noch die Sache mit der nationalen Katastrophenschutzbehörde Fema. Was Romney über sie im Vorwahlkampf der Republikaner zu sagen hatte, liegt zunächst ganz auf der Linie seiner Partei, aus seinem Munde war es schon gar keine überraschende Einschätzung: Wenn es geht, sollte der Bundesstaat eine Aufgabe übernehmen, die nicht zwingend von Washington aus geregelt werden muss. Besser noch, wenn der Privatsektor dies leisten kann.

Auch wenn er vielleicht die Fema nicht grundsätzlich infrage gestellt hat, holt ihn das Thema nun ein. Während die Behörde im Angesicht von Sandy zeigen kann, was sie zu leisten imstande ist, weigert sich Romney standhaft, sich konkret dazu äußern und ignoriert Fragen nach seiner Position zur Fema.

Romney kann Obama beim Katastrophenschutz nicht angreifen

Das ist vielleicht auch besser so. Denn Experten halten wenig davon, die Aufgaben der Fema an anderer Stelle anzusiedeln. Kathleen Tierney, Direktorin des Natural Hazard Center an der University of Colorado in Boulder sagte der Washington Post: „Wir wissen sehr gut, dass viele Bundesstaaten nicht die nötigen Kapazitäten haben, wenn es darum geht, Auswirkungen zu lindern, auf Katastrophen vorbereitet zu sein, auf sie zu reagieren und sich von ihnen zu erholen – besonders in diesen finanziell angespannten Zeiten.“

Sie könne sich nicht vorstellen, dass die Bundesstaaten „einen wirklich guten Job im Katastrophenfall machen würden“. Die USA hätten eine gute Infrastruktur, um mit Gefahren und Katastrophen umzugehen, viele hielten sie für die beste der Welt. „Es gibt sicherlich Schwächen, aber grundsätzlich ist es ein gesundes System, das aus seinen Fehlern lernen kann.“

Und genau das ist passiert, nachdem die Fema viel Kritik für ihre wenig überzeugende Leistung nach dem Hurrikan Katrina 2005 einstecken musste. Unter Präsident Obama ist die Behörde neu strukturiert worden und hat vor allem neue Kompetenzen erhalten: Seither kann sie bereits im Vorfeld von großen Naturkatastrophen aktiv werden und muss nicht – wie zuvor – darauf warten, dass die Bundesstaaten Hilfe anfordern, wenn es bereits Schäden und Opfer gibt. Dafür hat Obama von professionellen Nothilfemanagern und selbst republikanischen Gouverneuren gewichtiges Lob erhalten.

Wenn Romney heute wieder in den „echten“ Wahlkampf einsteigt, wird er deshalb wenig politischen Gewinn daraus ziehen können, sich weiter zum Thema zu äußern. Insgeheim wird er sich maßlos darüber ärgern, dass der republikanische Gouverneur von New Jersey voll des Lobes für Obamas Handhabung der Katastrophe ist. Chris Christie ist ein unnachgiebiger Kritiker des Präsidenten und nennt dessen Einsatz nun „bewundernswert“ und „großartig“. Der Wahlkampf schere ihn aber jetzt einen Dreck, sagt er. Heute treffen die beiden zusammen, wenn Obama die Schäden des Sturms selbst in Augenschein nimmt. Gegen solche Schlagzeilen kann Romney derzeit wenig ausrichten.

Ein kleiner Nachtrag noch zu Romneys „storm relief event“ in Dayton, Ohio: Die Vorbereitungen zu dieser „unpolitischen“ Veranstaltung liefen auf den letzten Drücker. Und offenbar hatten die Organisatoren Angst, es könnten nicht genügend Menschen dem Aufruf folgen, Sachspenden abzugeben, und es könnte peinlich werden. Jedenfalls suchte man am Abend vorher einen Walmart auf, um für 5.000 Dollar Konservendosen, Windeln und andere Güter zu kaufen – damit es zumindest schon einmal nach etwas aussehen würde.