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Wo ist Obamas Leidenschaft geblieben?

 

Im US-Bundesstaat Virginia zeigen sich die USA im Kleinen: demografischer Wandel, wirtschaftliche Entwicklung, Wahlverhalten – Virginia ist ein Mikrokosmos, der widerspiegelt, was die USA spaltet, was sie zusammenhält. Unser Reporter Carsten Luther war in Richmond, Virginia, unterwegs.

Als Mitt Romney dem Präsidenten zu seinem Hochzeitstag gratuliert, hat er bei den Studenten der University of Richmond in Virginia den ersten Lacher auf seiner Seite. „Ich bin sicher, das hier war der romantischste Ort, den Sie sich vorstellen konnten – hier mit mir …“, sagt der Herausforderer zu Barack Obama.

Romney schafft es damit, auch die Studenten zu erheitern, die sich zu Obama bekennen. Sie sind gemeinsam mit Romney-Sympathisanten im Wohnheim Keller Hall zusammengekommen, um die erste TV-Debatte der beiden Kontrahenten zu sehen. Viele Stühle sind allerdings leer geblieben, richtig bequem ist es nicht, die Studenten balancieren die Pizza auf dem Schoß. Ihre Aufmerksamkeit gehört ganz der Leinwand. Zwischenrufe gibt es während der 90 Minuten langen Debatte fast nicht, auffällig still und konzentriert folgen alle dem Duell.

Romney hat hier einen schweren Stand, nur wenige bekennen sich als Anhänger des Republikaners. „Die erkennst du schon daran, wie sie angezogen sind“, sagt Lesley Shinbaum. Die 21-Jährige aus Alabama studiert Politikwissenschaft und Religion, auf dem Campus führt sie die Obama-Unterstützer an. Es wird das erste Mal sein, dass sie einen Präsidenten für ihr Land wählen kann – das gilt für fast alle hier. Und zumindest in einem sind die Studenten sich einig: „Wenn du nicht abstimmst, kannst du dich hinterher auch nicht beschweren.“

Republikaner haben Obama blockiert

Für die meisten Studenten ist an diesem Abend das wichtigste Wahlkampfthema die Wirtschaftspolitik, wichtiger noch als Bildung oder die Sozialsysteme. Selbst Lesley meint: „Obama hat zu wenig getan für die Wirtschaft. Aber ich bin Realistin: Als er gewählt wurde, habe ich nicht erwartet, dass sich die Welt völlig verändern würde – so viel Macht hat der Präsident nicht.“ Die Schuld daran tragen in ihren Augen auch die Republikaner mit ihrer Blockadehaltung im Kongress. „Wenn Obama gewinnt“, sagt sie, „werden die sich neu besinnen müssen, diese Wahl wird ein Weckruf sein.“

Spencer Cylinder aus New Jersey meint, Obama habe zu Beginn seiner Amtszeit sogar zu sehr versucht, Kompromisse zu finden und beide Seiten zu beteiligen. „Als er merkte, dass das nicht funktioniert, war es schon zu spät, die Mehrheit der Demokraten im Kongress war futsch“, sagt der 18-Jährige. „Die Republikaner haben doch vom ersten Tag an erklärt: Wir wollen, dass Obama scheitert.“

Die Leidenschaft von 2008 ist weg

Vielleicht hat Obama ja auch deshalb inzwischen einiges von seiner früheren Leichtigkeit verloren. Christine Parker hat das nicht erst während der Debatte bemerkt. „Die Art wie er heute redet, da ist nicht mehr diese Leidenschaft wie vor vier Jahren“, sagt die 21-Jährige. „Aber er hat immer noch diese stille Selbstsicherheit, muss nicht laut werden, spricht ruhig und langsam. Romney dagegen wirkt nervös und grob, sein Ton, seine ganze Körpersprache sind völlig anders.“

Auch hat die Studentin aus Kalifornien beim Präsidenten eher das Gefühl, seinen Versprechen trauen zu können. „Romney hat schon so viel gesagt und immer wieder andere Dinge, ihm geht es doch nur darum, sich bei allen beliebt zu machen; Obama ist viel beständiger und steht hinter seinem Weg.“ Für den 18-jährigen Andrew Imbalzano aus New Jersey war es am Ende überraschend, wie gut sich Romney geschlagen hat. Aber auch er hat festgestellt: „Manches, was er heute gesagt hat, passt einfach nicht zusammen mit seinen früheren Aussagen.“

Obwohl Ashlee Hanson für Romney stimmen will, hätte die 19-Jährige aus Mechanicsville ganz in der Nähe von Richmond den Präsidenten lieber in besserer Form gesehen: „Obama war nicht voll auf der Höhe, hat viel wiederholt und war unter Druck, auf Angriffe zu reagieren – ich hatte mehr erwartet.“ Dass Romney offensiver aufgetreten ist als bisher im Wahlkampf, bewertet sie zwar positiv. „Ein vernünftiger Austausch von Argumenten war das trotzdem nicht, darauf warte ich noch.“ Wie viele ihrer Mitstudenten hält Ashlee eben nichts von festgefügten Parteipräferenzen: Vor vier Jahren durfte sie noch nicht wählen, „aber ich hätte ernsthaft über Obama nachgedacht, das wäre eine schwierige Entscheidung gewesen“.